Ab und zu ein paar Geigen

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Heute gibt es Musik von Maybebop und der NDR Radiophilharmonie:

Ich finde mich in dem Lied wieder. Ich bin oft zögerlich, brauche lange für Entscheidungen und gehe ungern Risiken ein. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass das Leben an mir vorbeizieht, weil ich die Gelegenheiten, die es mir bietet, nicht wahrnehme.

Im Film ist alles viel einfacher: Es gibt ein Drehbuch, das alle Irrungen und Wendungen auf dem Weg zum Happy End genau vorgibt, das klar erkennen lässt, was die wichtigsten Momenten, die Schlüsselstellen für die Entwicklung des Protagonisten sind. Und falls eventuell ein mäßig begabter Schauspieler mit der Darstellung eines solchen Momentes überfordert sein sollte, gibt es die Filmmusik, die die richtige Stimmung erzeugt und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden hilft.

Das wahre Leben hat keinen Soundtrack. Wie praktisch wäre es, wenn sanfte Geigen unsere romantischen und Blechbläser unsere heroischen Momente begleiten, ja ankündigen würden. Manche Entscheidung, manche Aktion fiele sehr viel leichter, und wir würden viel weniger Gefahr laufen, den richtigen Moment zu verpassen oder an den Wendepunkten unseres Lebens vorbei zu laufen.

Der richtige Moment hieß bei den alten Griechen Kairos. Er ist in der altgriechischen Kultur so wichtig, dass er als Gott verehrt wurde. Auch in der Bibel ist er von großer Bedeutung. Als die Zeit erfüllt war und Jesus begann, öffentlich aufzutreten, ist vom Kairos die Rede, ebenso wenn Paulus die Epheser anweist: „Kauft die Zeit aus.“ Gott handelt nicht irgendwann. Er handelt zum richtigen Zeitpunkt, zum Kairos, und das soll wohl auch für seine Kinder gelten.

Und wie erkennt man ihn nun, den Kairos? Ich habe immer mal wieder versucht, das zu erzwingen; zum Beispiel indem ich mich selbst unter Druck gesetzt habe, immer aufmerksam zu sein und keine Gelegenheit zu verpassen. Sehr ermüdend. Oder ich wollte Gott dazu bringen, sich doch gefälligst deutlich auszudrücken und mir endlich klar zu zeigen, was er von mir erwartet. Aber welchen Erfolg soll es haben, den Schöpfer des Himmels und der Erde unter Druck setzen zu wollen?

Beides jedoch verstopft die Ohren für die Stimme Gottes. Das ist ja gerade das unglaubliche: Die Stimme, durch deren Worte das Universum entstanden ist, erklingt in meinem Geist leise, bescheiden, als eine von vielen. Und nicht zuletzt häufig unerwartet, sowohl in dem, was sie sagt, als auch in dem, wie sie es sagt. Nicht selten übernimmt sie die Rolle der Filmmusik: Mal erhöht sie die Spannung, mal schenkt Ruhe, oft bestätigt sie Eindrücke, die ich habe, und manchmal lässt sie die Stimmung auch komplett kippen.

Bei dem Lied von Maybebop dachte ich zuerst, wie schön das wäre, so ab und zu ein paar Geigen zu hören, die einen auf den richtigen Moment, den Kairos hinweisen. Erst beim zweiten Hören ist mir aufgefallen, dass ich solche Geigen-Momente schon erlebt habe, nicht übermäßig oft, aber doch einige Male in den letzten Jahren. Dass es Gottes Stimme war, die zum entscheidenden Zeitpunkt die richtige Stimmung, die richtige Erwartungshaltung in mir hervorgerufen hat. Und so schleicht sich Gott an meinen Ängsten vorbei, untergräbt meine Bedenken und hebelt mein Zögern aus.

Auf diese Weise habe ich schon den einen oder anderen unerwarteten Weg eingeschlagen, unerwartet vor allem, weil ich mir vorher nicht hätte vorstellen können, dass Gott so einen Weg mit mir gehen würde. Es ist wie in einem guten Film: Die Handlung ist nicht vorhersehbar, man muss auf Überraschungen gefasst sein. Und doch ergibt alles letztlich einen Sinn. Ich glaube zwar nicht, dass es zu meinem Leben ein festes Drehbuch gibt, aber ich bin überzeugt, dass der Soundtrack zu meinem Leben im Himmel geschrieben wird, und ab und zu, ganz leise, höre ich ihn schon spielen.

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