Verheißung oder Vertröstung

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Wenn es stimmt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt (und davon gehe ich aus), dann ist die Frage, was nach dem Tod mit uns passiert, wichtiger als die Frage, was vor dem Tod mit uns passiert. Ich halte das – zumindest aus christlicher Sicht – für ziemlich offensichtlich, und ich denke, das biblische Zeugnis geht in dieselbe Richtung. Auch wenn ich glaube, das viele der Bibelstellen, die klassisch im Hinblick auf das Jenseits ausgelegt werden, sich eher auf das Diesseits beziehen.

Genauso offensichtlich ist, dass die christliche Kirchen vielfach die Botschaft vom Jenseits nicht als Verheißung verkündet, sondern als Vertröstung missbraucht hat. Ein wesentliches Ziel war und ist, ungerechte Machtstrukturen zu bewahren oder zu verstärken und Menschen in Armut und Abhängigkeit zu halten, um sie besser ausbeuten zu können.

Wie glaubwürdig ist die christliche Botschaft vom Jenseits? Sie kann ihre Glaubwürdigkeit definitiv nicht aus sich selbst beziehen, denn der Tod stellt eine unüberwindbare Schranke dar: Nichts von dem, was nach dem Tod passiert, kann in irgend einer Form vor dem Tod nachvollzogen oder gar überprüft werden.

Die Urgemeinde bezog ihre Glaubwürdigkeit tatsächlich aus einer anderen Quelle, nämlich aus ihrem Verhalten im Diesseits. Taten sprechen bekanntlich lauter als Worte, aber Taten sind nur im Hier und Jetzt möglich. Und diese Taten gab es durch die frühen Christen mehr als reichlich, manchmal über jedes vernünftige Maß hinaus. Zum Beispiel hatte die erste bewusste Entscheidung über kirchliche Strukturen (Apg. 6) die Sicherstellung der Armenversorgung zum Ziel. Beim Blick auf kirchliche Struktur-Diskussionen heute erahnt man, wie weit sich die organisierte Gemeinschaft der Christen vielfach von den Werten der Urgemeinde entfernt hat.

Als Folge ihres Verhaltens fanden die ersten Christen Wohlwollen beim ganzen Volk, wie es die Apostelgeschichte bezeugt. Dieses Wohlwollen, das mit konkreten Handlungen erworben und verdient wird, ist die Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft gerade in den Bereichen, die sich der Nachprüfung entziehen, sie ist die Vorbedingung für die Predigt vom Jenseits. Wer im Diesseits die Anerkennung und den Respekt seiner nichtchristlichen Nachbarn und Freunde genießt, darf gern von der zukünftigen Welt schwärmen. Wer sein Christsein in Konfrontation und Abgrenzung lebt, kann sich die Predigt von ewiger Erlösung oder ewiger Verdammnis sonst wohin stecken.

Anlass für diese deutlichen Worte ist der „Ixthys“-Imbiss in der Schöneberger Pallasstraße. Es liegt im Berliner Nollendorfkiez, einem bedeutenden Lesben- und Schwulenviertel mit hundertjähriger Geschichte und Tradition. Selbst die Nazis und deren von der frühen Bundesrepublik fast nahtlos fortgeführten Homophobie konnten das Queere in diesem Viertel zwar vorübergehend ersticken, aber nicht dauerhaft auslöschen. Die Betreiberin des „Ixthys“ hat sich entschieden, in dieser Umgebung einen Imbiss zu eröffnen und über und über mit Bibelversen zu dekorieren.

Mein Geschmack ist das definitiv nicht, aber darum geht es mir nicht, sondern darum, dass sie sich auch entschieden hat, ausgerechnet in dieser Umgebung ausgerechnet die schwulenfeindlichsten Bibelverse von außen sichtbar ins Schaufenster zu stellen. Das ist keine Tat christlicher Nächstenliebe, sondern ein Akt purer Aggression und etwa auf dem geistigen und moralischen Niveau der Leute, die neben einen bestehenden Kindergarten ziehen und sich anschließend über den „Kinderlärm“ beklagen.

Dass das jetzt zu strafrechtlichen Ermittlungen wegen Volksverhetzung geführt hat, ist vielleicht in der Sache nicht zielführend, aber keinesfalls überraschend. Natürlich schreien nun viele Christen, dass das Christenverfolgung sei. Sie verkennen dabei, dass die ersten Christen trotz ihres Sozialverhaltens verfolgt wurden und nicht, wie diese Imbiss-Betreiberin, wegen ihres Sozialverhaltens.

Die Betreiberin behauptet, Lesben und Schwulen drohe die ewige Hölle. Eine Aussage, die ich theologisch für haltlos und seelsorgerisch für eine Vollkatastrophe halte. Auf jeden Fall ist es eine Aussage über das Jenseits, die für keinen der Anwohner und Besucher der Pallasstraße nachprüfbar ist. Nachprüfbar ist hingegen für jeden Passanten die Auswahl der Bibelverse in ihrem Schaufenster. Die Betreiberin präsentiert sich damit als Person, die die Umgebung, in die sie freiwillig gezogen ist, nicht respektiert, und deshalb von dieser Umgebung auch keinen Respekt zu erwarten hat. Statt sich das Wohlwollen des ganzen (Nollendorfkiez-) Volkes zu erarbeiten, arbeitet sie mit bewusster Provokation. Sie zerstört damit von vornherein das Vertrauen, das nötig ist, um überhaupt erst als Gesprächspartner über Fragen des Jenseits ernst genommen zu werden.

Viele Christen beklagen, dass das Leben nach dem Tod in der christlichen Verkündigung eine zu geringe Rolle spielt. Sie verkennen dabei, dass es viel zu viele Christen wie diese Imbiss-Betreiberin gibt, die durch ihr diesseitiges Verhalten das Vertrauen in christliche Verkündigung zerstören, so dass Jenseits-Verkündigung sinnlos wird. Erweckung in christlichem Sinn hat ihren Nährboden stets in einem als positiv wahrgenommenen Beitrag der Christen zur Gesellschaft, im Wohlwollen beim ganzen Volk, wie es die Apostelgeschichte nennt.

Christliche Verheißungen werden in der säkularen Gesellschaft oft bestenfalls als Vertröstungen wahrgenommen. Die häufig guten und nachvollziehbaren Gründe für diese Wahrnehmung liegen meist Fehlverhalten der Kirche als Institution oder einzelner Christen, wie zum Beispiel dieser Imbiss-Betreiberin. Der Erfolg der Predigt hängt von der Vertrauenswürdigkeit des Predigers ab. Wenn der Ruf nicht gehört wird, weil dieses Vertrauen fehlt, lohnt es sich nicht, lauter zu rufen.

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