Ein Huhn und ein Schwein wollen ein Restaurant eröffnen.
Das Schwein frag das Huhn: „Was wollen wir anbieten?“
Das Huhn antwortet: „Wie wär’s mit Eier und Speck?“
Darauf sagt das Schwein: „Das ist unfair. Ich bin persönlich betroffen, du bist nur beteiligt.“
Die Geschichte von Huhn und Schwein wird gerne erzählt, wenn es um Projektmanagement geht. Bei jedem Projekt gibt es Leute, die beteiligt sind und vielleicht wichtige Beiträge liefern. Aber es gibt auch die persönlich betroffenen, die jede Entscheidung, vor allem jede Fehlentscheidung ausbaden müssen. Die Theorie sagt nun, dass es keine gute Idee ist, wenn wichtige Projektentscheidungen von denen getroffen werden, die nur beteiligt sind. Die persönlich Betroffenen treffen solche Entscheidungen nämlich meistens gründlicher und nachhaltiger, weil sie ja genau wissen, dass sie selbst mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen leben müssen.
Die Geschichte kommt aus der Management-Theorie, aber sie betrifft natürlich auch viele andere Lebensbereiche und auch die christliche Gemeinde. Wie der ältere Pfarrer, der zu seinem Kollegen sagte: „Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als wir über die Frauenfrage diskutieren konnten, ohne dass die Frauen mitreden wollten?“
Männer diskutieren über die Rechte der Frau, Weiße über Rassismus und Heteros über Homosexualität. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei Huhn und Schwein. Die Beteiligten treffen Entscheidungen über die Betroffenen und merken meist nicht einmal, was sie diesen zumuten. Und die Betroffenen sehen sofort, dass die Beteiligten die Problematik überhaupt nicht verstanden haben.
Mir wurde auch schon gesagt, dass ich als Betroffener keine eigene Entscheidung zum Thema Homosexualität treffen sollte, dass ich nicht Richter in eigener Sache sein könne. Es geht hier aber nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um mich als Person. Und über alles, was mich als Person betrifft, bin ich selbst (abgesehen von Gott) der Einzige, der genügend Wissen hat, um hier ein Urteil zu fällen. Kein Mensch außer mir selbst hat Einblick in meine Seele, und erst recht darf kein anderer Mensch darüber richten.
Im Übrigen gibt es vor Gericht immer zwei Betroffene. Wenn die Entscheidung nun mal unbedingt zwischen Speck und Hühnerbrust getroffen werden muss, tun Schwein und Huhn gut daran, einen neutralen Richter hinzuzuziehen. So lange das Huhn nur Eier beisteuert, sieht die Sache völlig anders aus.
Ich kann mir schon vorstellen, dass es für einen heterosexuellen Menschen schwierig sein kann, sich in einen schwulen oder lesbischen oder bisexuellen Menschen hineinzuversetzen. Ich merke ja selbst, wie schwer ich mich damit tue zu verstehen, was zum Beispiel Transgeschlechtlichkeit für einen Menschen bedeutet. Es gibt da aber leider Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen, die sich für kompetent halten, weil sie sich nie tief genug mit dem Thema beschäftigt haben, um den Grenzen ihres Wissens und Verstehens zu begegnen.
Und selbst wenn das Wissen da wäre: Es ist viel zu einfach für das Huhn, den Speck auf die Speisekarte zu nehmen. Diese Entscheidung kann und darf nur vom Schwein getroffen werden. Und vor allem muss das Schwein dabei keine Rücksicht auf das Huhn nehmen, nur weil dieses seine Eier beisteuert.
Ich glaube, so manche Diskussion, zu Homosexualität und zu vielen anderen Themen, würde erheblich besser laufen, wenn sich zuerst alle Teilnehmer die Frage stellen, ob sie Schwein oder Huhn sind, ob sie wirklich Betroffene oder nur Beteiligte sind. Es ist ja nicht so, dass die Hühner nichts zu geben hätten, ihre Eier sind ja nicht wertlos. Und genauso kann der Rat der Beteiligten von großem Wert für die Betroffenen sein. Aber wenn die Beteiligten sich des Unterschieds zwischen Huhn und Schwein nicht bewusst sind, wenn sie sich auf die gleiche Ebene mit den Betroffenen oder womöglich sogar über sie stellen wollen, dann wird ihr Rat fast zwangsläufig nutzlos und häufig auch sehr verletzend.
Ich schreibe über andere und meine natürlich auch mich. Natürlich habe ich auch schon das eine oder andere Gespräch ruiniert, weil ich mir meiner Rolle als Huhn nicht bewusst war. Ich möchte besser darin werden zu erkenne, wenn der Andere persönlich betroffen und ich nur beteiligt bin, und mich entsprechend verhalten. Aber ich habe mir auch vorgenommen, mich auch deutlicher zu wehren, wenn ich mich in der Rolle des Schweins wiederfinde und andere über meinen Speck entscheiden wollen. Ich will versuchen, das liebe- und rücksichtsvoll zu tun, aber ich will auch versuchen, klare Grenzen zu setzen, wenn es Anderen als Beteiligten nicht zusteht, über mich als Betroffenen zu urteilen. Ich denke, die Geschichte mit dem Huhn und dem Schwein kann dabei nützlich sein. Vielleicht werde ich sie noch öfter erzählen.