Es ist vielleicht unvermeidlich, dass ich als schwuler Christ gelegentlich in eine Verteidigungshaltung gerate. In letzter Zeit habe ich mich jedoch viel zu oft in dieser Haltung wiedergefunden, häufig unnötigerweise, manchmal sogar ohne jeden Anlass. Gründe dafür gibt es viele, aber ich weiß längst: Es tut mir nicht gut.
Auch die Zeichen, die Gott mir schickt, weisen in eine andere Richtung. In den letzten Wochen bin ich gleich auf mehrere Mut machende und befreiende Bibelstellen gestoßen, die mich sehr berührt haben. „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, schreibt Paulus. Trotzdem halte ich oft an der Enge meiner Verteidigungshaltung fest, weil sie sich sicher anfühlt, weil sie mir das (sehr wahrscheinlich trügerische) Gefühl gibt, alles unter Kontrolle zu haben. Und meine Seele verwechselt die Weite, in die Gott mich führen will, mit Halt- und Schutzlosigkeit.
Ich möchte dem nicht nachgeben. Ich möchte nicht an etwas festhalten, was doch keinen Halt gibt und mir nur schadet, ich möchte vielmehr die Ermutigung festhalten, die Gott mir bereits gegeben hat. Deshalb gibt es hier in den nächsten Wochen eine kleine Serie über Bibelstellen, die mir den Weg in diese Freiheit zeigen und mir Mut machen.
An eine dieser Bibelstellen hat mich Gott erinnert, als ich vor kurzem eine schwierige E-Mail schreiben musste. Sie steht in Jesaja 43, Vers 18 und 19:
Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.
Eine Bibelstelle, die für mich in besonders eindrücklicher Weise die Situation der schwulen, lesbischen, bisexuellen, transgeschlechtlichen und sonst irgendwie queeren Christen beschreibt. Nach vielen Jahrhunderten der Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung erkennen mehr und mehr Christen, Gemeinden und Verbände, dass Gott neue Wege geht mit seinen nicht-cis-hetero-Nachfolgern, und gehen diese Wege mit. Sie erleben, dass Gott hier neues Leben aufwachsen lässt, und freuen sich mit uns.
Schade nur, dass ausgerechnet eine der lebensfeindlichsten Organisationen in diesem Bereich sich den Namen Wuestenstrom gegeben hat. Sie und viele andere erkennen noch nicht, welches Wachstum Gott hier wirklich schenkt, manche bekämpfen es sogar. Trotzdem gibt es mehr als genug Gründe, dankbar zu sein für das, was Gott schon getan hat, und gespannt zu sein auf das, was er noch tun wird.
Das Bibelwort hat auch eine persönliche Seite für mich. Die Vergangenheit liegt hinter mir und wird auch nicht zurück kommen. Es wird mir nicht helfen, über das, was war oder was hätte gewesen sein können, nachzugrübeln. Gott erinnert mich mit seinem Wort daran, dass es viel besser ist, nach dem zu suchen, dass er noch geben will, und nicht nach dem, das ich vielleicht verpasst habe. Die Veränderungen in meinem Leben sind von Gott geschenkt und brauchen nicht ängstlich von mir verteidigt zu werden. Statt dessen sollte ich nach dem Leben Ausschau halten, das Gott jetzt bei mir wachsen lässt, nach den Wegen, die er jetzt ebnet und nach dem Wasser, mit dem er jetzt meinen Durst löschen will.