Im Jahr 1517 soll ein gewisser Hans von Hake bei Johann Tetzel einen Ablassbrief „für noch zu begehende Sünden“ gekauft haben. Kurz darauf überfiel und beraubte er Tetzel unter Vorzeigung dieses Ablassbriefes. Historiker bezweifeln, dass dies so stattgefunden hat, aber unabhängig von ihrem historischen Gehalt zeigt die Geschichte wunderbar die Absurdität des Ablasshandels auf.
Tetzel ist längst tot und glücklicherweise auch die von ihm vertretene Form des Ablasses gegen Geld. Ablässe gibt es aber immer noch. Die katholische Kirche definiert wie folgt (Stand 1983):
Ablaß ist der Nachlaß zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.
Als aufrechter Protestant des 21. Jahrhunderts muss ich sagen: Mir gruselt. Ich möchte hier nicht auf die theologischen Details eingehen, aber ich muss sagen: Mehr noch als die Ablass-Praxis des 16. Jahrhunderts jagt mir die theologische Begründung kalte Schauer über den Rücken. Das passt gut zur Jahreszeit, denn morgen ist der ideale Tag für Gruselgeschichten aller Art, auch über den Ablasshandel.
Statt Hans von Hakes Überfall, der wohl eher dem Reich der Legende zuzuordnen ist, gedenken wir morgen am Reformationstag Martin Luthers historisch verbürgten 95 Thesen. Statt einer äußerst gelungenen, aber theologisch vermutlich fragwürdigen Satire-Aktion feiern wir ein theologisch fundiertes, aber ziemlich langatmiges Thesenpapier. Die evangelische Christenheit hat nicht viel Glück mit ihren spezifischen Feiertagen: Der Reformationstag hat einen trockenen theologischen Disput zum Thema, beim Buß- und Bettag klingt schon der Name nach schlechter Laune – zumindest seit der Rechtschreibreform, die es unmöglich gemacht hat, im Bet-Tag einen Bett-Tag zu lesen.
Entsprechend hoffnungslos erscheint es mir, sich der Überlagerung des Reformationstags durch Halloween entgegenzustellen. Denn gegenüber so ziemlich jeder Reformationstags-Feier hat so ziemlich jede Halloween-Feier einen entscheidenden Vorteil: Sie macht Spaß. Wenn ich sehe, mit welcher Kreativität, welchem Humor und welcher Liebe zum Detail sich die angelsächsische Welt diesem Feiertag widmet, werde ich ein wenig neidisch. Mit dem deutschen Kulturgut Fasching stehe ich seit jeher auf Kriegsfuß. Der amerikanische Halloween-Kult liegt mir da wesentlich näher. Ich stelle mir einen Abend in Gesellschaft von Horror-Clowns wesentlich lustiger vor als einen Abend in Gesellschaft von Faschingsprinzen und Funkenmariechen.
Im Gegensatz zu Vatertag und Himmelfahrt wurde ja Halloween nicht mit Absicht auf einen christlichen Feiertag gelegt. Die Termine haben zwar einen gemeinsamen Grund (der Tag vor Allerheiligen), entstanden aber völlig unabhängig voneinander. Die Protestanten haben bekanntlich ihren Namen davon, dass sie 1529 gegen die Ächtung Martin Luthers protestierten. Heute protestieren sie vielfach dagegen, dass fröhliche Halloween-Feiern den theologisch-trockenen Reformationstag verdrängen. Ein verlorener Kampf, mit dem sie in erster Linie erreichen, dass die Anhänger Jesu, der von seinen Gegnern als Fresser und Weinsäufer bezeichnet wurde, heute vor allem als Spaßbremsen bekannt sind.
Statt den Terminkonflikt gelassen hinzunehmen, wird er zum Kultur- oder gar Glaubenskampf überhöht. Wer sich und seine Sache zu ernst und zu wichtig nimmt, gleitet allzu leicht ins Absurde ab und macht sich am Ende nur lächerlich – so wie Tetzel durch durch Hans von Hake lächerlich gemacht wurde. Halloween-Feiern haben ebenso ihre Berechtigung wie Reformationstags-Gottesdienste. Dabei sind beide Feste derart unterschiedlich, dass sie unmöglich in Konkurrenz zueinander stehen könnten, lägen sie nicht dummerweise auf demselben Tag. Was beide aber letztendlich gemeinsam haben, ist das wohlige Gruseln in der Erinnerung an längst überwundenen Aberglauben.
Halloween bietet neben traditionellen Motiven auch die Gelegenheit für ungewöhnliche Kostüme. Von mehreren Anbietern gibt es passende Perücken, um sich als Donald Trump zu verkleiden, eine wahrhaft gruselige Figur. Nächstes Jahr wird zum Reformations-Jubiläum sicher auch der eine oder andere Luther auftauchen. Ich hätte da eine viel bessere Idee: Johann Tetzel inklusive Ablassbriefe, Geldkasten und Tonsur. Zwar werden nur die wenigsten verstehen, was daran gruselig sein soll, aber beim Rest lässt sich mit dieser Figur, wenn man sie gut spielt, nebenbei sehr schön Geld für einen guten Zweck sammeln.