Archiv der Kategorie: unter Christen

Verheißung oder Vertröstung

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Wenn es stimmt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt (und davon gehe ich aus), dann ist die Frage, was nach dem Tod mit uns passiert, wichtiger als die Frage, was vor dem Tod mit uns passiert. Ich halte das – zumindest aus christlicher Sicht – für ziemlich offensichtlich, und ich denke, das biblische Zeugnis geht in dieselbe Richtung. Auch wenn ich glaube, das viele der Bibelstellen, die klassisch im Hinblick auf das Jenseits ausgelegt werden, sich eher auf das Diesseits beziehen.

Genauso offensichtlich ist, dass die christliche Kirchen vielfach die Botschaft vom Jenseits nicht als Verheißung verkündet, sondern als Vertröstung missbraucht hat. Ein wesentliches Ziel war und ist, ungerechte Machtstrukturen zu bewahren oder zu verstärken und Menschen in Armut und Abhängigkeit zu halten, um sie besser ausbeuten zu können.

Wie glaubwürdig ist die christliche Botschaft vom Jenseits? Sie kann ihre Glaubwürdigkeit definitiv nicht aus sich selbst beziehen, denn der Tod stellt eine unüberwindbare Schranke dar: Nichts von dem, was nach dem Tod passiert, kann in irgend einer Form vor dem Tod nachvollzogen oder gar überprüft werden.

Die Urgemeinde bezog ihre Glaubwürdigkeit tatsächlich aus einer anderen Quelle, nämlich aus ihrem Verhalten im Diesseits. Taten sprechen bekanntlich lauter als Worte, aber Taten sind nur im Hier und Jetzt möglich. Und diese Taten gab es durch die frühen Christen mehr als reichlich, manchmal über jedes vernünftige Maß hinaus. Zum Beispiel hatte die erste bewusste Entscheidung über kirchliche Strukturen (Apg. 6) die Sicherstellung der Armenversorgung zum Ziel. Beim Blick auf kirchliche Struktur-Diskussionen heute erahnt man, wie weit sich die organisierte Gemeinschaft der Christen vielfach von den Werten der Urgemeinde entfernt hat.

Als Folge ihres Verhaltens fanden die ersten Christen Wohlwollen beim ganzen Volk, wie es die Apostelgeschichte bezeugt. Dieses Wohlwollen, das mit konkreten Handlungen erworben und verdient wird, ist die Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft gerade in den Bereichen, die sich der Nachprüfung entziehen, sie ist die Vorbedingung für die Predigt vom Jenseits. Wer im Diesseits die Anerkennung und den Respekt seiner nichtchristlichen Nachbarn und Freunde genießt, darf gern von der zukünftigen Welt schwärmen. Wer sein Christsein in Konfrontation und Abgrenzung lebt, kann sich die Predigt von ewiger Erlösung oder ewiger Verdammnis sonst wohin stecken.

Anlass für diese deutlichen Worte ist der „Ixthys“-Imbiss in der Schöneberger Pallasstraße. Es liegt im Berliner Nollendorfkiez, einem bedeutenden Lesben- und Schwulenviertel mit hundertjähriger Geschichte und Tradition. Selbst die Nazis und deren von der frühen Bundesrepublik fast nahtlos fortgeführten Homophobie konnten das Queere in diesem Viertel zwar vorübergehend ersticken, aber nicht dauerhaft auslöschen. Die Betreiberin des „Ixthys“ hat sich entschieden, in dieser Umgebung einen Imbiss zu eröffnen und über und über mit Bibelversen zu dekorieren.

Mein Geschmack ist das definitiv nicht, aber darum geht es mir nicht, sondern darum, dass sie sich auch entschieden hat, ausgerechnet in dieser Umgebung ausgerechnet die schwulenfeindlichsten Bibelverse von außen sichtbar ins Schaufenster zu stellen. Das ist keine Tat christlicher Nächstenliebe, sondern ein Akt purer Aggression und etwa auf dem geistigen und moralischen Niveau der Leute, die neben einen bestehenden Kindergarten ziehen und sich anschließend über den „Kinderlärm“ beklagen.

Dass das jetzt zu strafrechtlichen Ermittlungen wegen Volksverhetzung geführt hat, ist vielleicht in der Sache nicht zielführend, aber keinesfalls überraschend. Natürlich schreien nun viele Christen, dass das Christenverfolgung sei. Sie verkennen dabei, dass die ersten Christen trotz ihres Sozialverhaltens verfolgt wurden und nicht, wie diese Imbiss-Betreiberin, wegen ihres Sozialverhaltens.

Die Betreiberin behauptet, Lesben und Schwulen drohe die ewige Hölle. Eine Aussage, die ich theologisch für haltlos und seelsorgerisch für eine Vollkatastrophe halte. Auf jeden Fall ist es eine Aussage über das Jenseits, die für keinen der Anwohner und Besucher der Pallasstraße nachprüfbar ist. Nachprüfbar ist hingegen für jeden Passanten die Auswahl der Bibelverse in ihrem Schaufenster. Die Betreiberin präsentiert sich damit als Person, die die Umgebung, in die sie freiwillig gezogen ist, nicht respektiert, und deshalb von dieser Umgebung auch keinen Respekt zu erwarten hat. Statt sich das Wohlwollen des ganzen (Nollendorfkiez-) Volkes zu erarbeiten, arbeitet sie mit bewusster Provokation. Sie zerstört damit von vornherein das Vertrauen, das nötig ist, um überhaupt erst als Gesprächspartner über Fragen des Jenseits ernst genommen zu werden.

Viele Christen beklagen, dass das Leben nach dem Tod in der christlichen Verkündigung eine zu geringe Rolle spielt. Sie verkennen dabei, dass es viel zu viele Christen wie diese Imbiss-Betreiberin gibt, die durch ihr diesseitiges Verhalten das Vertrauen in christliche Verkündigung zerstören, so dass Jenseits-Verkündigung sinnlos wird. Erweckung in christlichem Sinn hat ihren Nährboden stets in einem als positiv wahrgenommenen Beitrag der Christen zur Gesellschaft, im Wohlwollen beim ganzen Volk, wie es die Apostelgeschichte nennt.

Christliche Verheißungen werden in der säkularen Gesellschaft oft bestenfalls als Vertröstungen wahrgenommen. Die häufig guten und nachvollziehbaren Gründe für diese Wahrnehmung liegen meist Fehlverhalten der Kirche als Institution oder einzelner Christen, wie zum Beispiel dieser Imbiss-Betreiberin. Der Erfolg der Predigt hängt von der Vertrauenswürdigkeit des Predigers ab. Wenn der Ruf nicht gehört wird, weil dieses Vertrauen fehlt, lohnt es sich nicht, lauter zu rufen.

Keine Gefangenen

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Der frühere Salzburger Weihbischof Laun warnt laut Queer.de vor dem „Gefängnis der LGBT-Ideologie“. Ich denke, so eine Äußerung sagt mehr über ihn aus als über die sogenannte LGBT-Ideologie.

Ich habe beim Stichwort Gefängnis ein Bild vor Augen, dass vermutlich mehr durch ältere Spielfilme als durch die Realität geprägt ist: Lange Reihen von vergitterten Zellen. So ein klassisches Gefängnisgitter aus Längs- und Querstäben sieht ja eigentlich von beiden Seiten ziemlich ähnlich aus. Wenn man nur das Gitter selbst sieht, ist es gar nicht leicht zu erkennen, auf welcher Seite man sich befindet, und doch ist genau das beim Gefängnis die entscheidende Frage. Eine Frage, die sich leicht beantworten lässt, sobald man sich vom Gitter abwendet: Auf der einen Seite versperren Wände den Weg, auf der anderen Seite wartet die Freiheit.

Auch die Bibel spielt immer wieder mit dem Bild des Gefängnisses und der Gefangenen. In Psalm 68, Vers 19 wird Gott als siegreicher Feldherr dargestellt, der Kriegsgefangene mit sich führt und Tributzahlungen einsammelt. Paulus zitiert diese Stelle in Epheser 4, 8 wie gewohnt recht frei und gibt ihr eine ganz neue Bedeutung: Jesus ist in das Totenreich hinabgestiegen und hat die Gefangenen des Todes befreit. Auch sammelt er bei Paulus keine Gaben ein, sondern verteilt sie. Um es mit modernen Begriffen zu sagen: Aus der Geiselnahme in Psalm 68 wird bei Paulus eine Geiselbefreiung. Die Gefangenen wechseln zunächst nur von einer Gewalt in die andere, nämlich von der Gewalt des Geiselnehmers in die Gewalt des Geiselbefreiers. Aber die Gefangenschaft durch Jesus führt fort vom Gefängnis mit seinen Zellen und Gittern, führt in die Freiheit, denn wir sind, wie derselbe Paulus an die Galater schreibt, zur Freiheit berufen.

Wer am Gitter stehen bleibt, wird diese Freiheit nie erleben. Schlimmer noch: Er wird die Orientierung verlieren und irgendwann nicht mehr begreifen, auf welcher Seite des Gitters er steht. Denn in einem Punkt hat Bischof Laun recht: Ideologie ist ein Gefängnis, denn Ideologie lebt immer von Abgrenzung, sie wendet sich ab von der Freiheit und schaut nur noch auf das Trennende, auf das Gitter.

Was die sogenannte LGBT-Ideologie betrifft: Ich habe beide Seiten des Gitters erlebt und habe auf beiden Seiten des Gitters meine Freiheit gesucht. Ich war auf derselben Seite wie Bischof Laun. Dort bin ich nur gegen Wände gelaufen und habe mir manch blutige Nase geholt. Mittlerweile bin ich auf der anderen Seite gelandet und erlebe Freiheit und Weite. Unzählige Christen und Nichtchristen haben genau die gleichen Erfahrungen gemacht. Es gibt keinen Zweifel, auf welcher Seite die Gefängniszelle und auf welcher Seite die Freiheit ist.

Ideologie will so etwas aber gar nicht herausfinden. Sie „weiß“, dass ihre Seite die richtige ist, nicht weil sie es so erlebt hat, sondern weil sie es so definiert. Dabei schaut sie nur auf das Trennende, auf das Gitter, und hat so keine Chance, die Wahrheit herauszufinden. Laun kann den Blick nicht vom „Gefängnis der LGBT-Ideologie“ abwenden und begreift nicht, dass er sich selbst in der Gefängniszelle befindet und nicht davor. Ob er es noch irgendwann herausfindet? Man darf die Hoffnung nie aufgeben.

Und für den Rest von uns: Das Ausloten der Freiheit, die Christus uns schenkt, ist ein wichtiger, lebenslanger Lernprozess, der manche Überraschung bereit hält. Und wenn wir dabei ständig gegen Wände laufen, ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass wir uns noch auf der falschen Seite der Gitterstäbe befinden, und dass wir Jesus als ein-Mann-Kommmandounternehmen brauchen, der uns in einer spektakulären Geiselbefreiung aus unserem Gefängnis entführt.

Ergebnisoffen

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Meine Begegnungen mit den Vertretern der sogenannten Konversionstherapie liegen einige Jahre zurück. Mehrere davon waren tatsächlich erfahrene und gute Therapeuten bzw. Seelsorger, von denen ich manches gelernt habe, was mir bis heute hilft. Kein Wunder also, dass ich auch ihren Aussagen über Homosexualität lange, viel zu lange geglaubt habe.

Einer dieser Seelsorger hat Homosexualität mit Kannibalismus verglichen: So wie manche Kannibalen ihre Opfer verzehren, damit deren Stärken auf sie übergehen, würden sich homosexuelle Menschen Partner des gleichen Geschlechts suchen, um sich deren Stärken einzuverleiben und damit ihre eigenen Defizite auszugleichen. Ich fand den Vergleich damals tatsächlich treffend und hilfreich. Heute sehe ich das natürlich völlig anders.

Es ist ja eine gute Sache, wenn sich Partner in ihren jeweiligen Stärken ergänzen und damit die Schwächen des Anderen ausgleichen. Aber durch den Vergleich mit Kannibalismus bekommt diese an sich gute Sache einen derart negativen Spin, dass man sie nur noch angewidert ablehnen kann. Ich glaube, das ist das Grundprinzip so ziemlich jeder Konversionstherapie: Man gibt der Idee einer gleichgeschlechtlichen Beziehung einen extrem negativen Spin, sodass der Verzicht auf so eine Beziehung als einzige vernünftige oder anständige Möglichkeit übrig bleibt.

Das Verbot derartiger Therapieversuche wird mittlerweile auf allen Ebenen diskutiert: Das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, und sowohl der derzeitige Gesundheitsminister als auch mehrere Landesregierungen haben Gesetzentwürfe dafür angekündigt.

Die Deutsche Evangelische Allianz wendet sich offiziell gegen ein solches Verbot. In einer Mitteilung vom 12. Juni erklärt sie einerseits, solche Therapien würden bei evangelikalen Christen und christlichen Werken nicht statt finden. Andererseits wird gefordert, dass eine ergebnisoffene Beratung möglich sein müsste, und dass das geplante Gesetz diese Verhindern würde. Der Trick ist offensichtlich: Die Veränderung der sexuellen Orientierung wird nicht mehr als Ziel, sondern nur als mögliches Ergebnis einer Therapie dargestellt. Gleichzeitig arbeitet man in derselben Mitteilung am erwähnten negativen Spin, indem man dem angeblich so guten Wirken der einschlägigen christlichen Organisationen die Gefahren der „sexsüchtigen Schwulenszene“ gegenüberstellt.

Ergebnisoffen kann eine Therapie nur dann sein, wenn es keine klaren, wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, welche Therapieschritte wirksam sind und welche nicht. Wer zum Arzt oder Therapeuten geht, erwartet in den meisten Fällen keine ergebnisoffene Beratung, sondern die konsequente Durchführung der angezeigten und allgemein anerkannten Diagnose- und Therapieschritte. Wo die Wissenschaft längst geklärt hat, dass ein Therapieziel hilfreich und ein anderes schädlich ist, ist eine ergebnisoffene Beratung ein gravierender fachlicher Fehler. Die Deutsche Evangelische Allianz fordert nichts anderes als die Erlaubnis zur vorsätzlichen Stümperei in Therapie und Seelsorge.

Wie konnte es dazu kommen, dass eine der bedeutendsten christlichen Organisationen Deutschlands so etwas fordert? Ich denke, die Idee einer christlich-seelsorgerlichen Konversionstherapie war ursprünglich eine sehr menschenfreundliche. Im Jahr 1957 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs nicht im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Ein Urteil, für das man sich heute schämen muss, wie der derzeitige Präsident eben jenes Gerichts zutreffend feststellt, aber ein Urteil, das durchaus dem gesellschaftlichen Konsens seiner Zeit entsprach: Homosexualität galt als verabscheuungswürdig und verwerflich.

Wohlmeinende Christen sahen das Dilemma der Betroffenen und sagten sich: Wenn Gott jeden Menschen liebt, aber Homosexualität ablehnt, dann muss es für homosexuelle Menschen einen Ausweg aus diesem Dilemma geben, einen Weg, an dessen Ende eine erfüllte, heterosexuelle Beziehung steht. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg der Konversionstherapie in bester Absicht beschritten wurde. Mittlerweile ist aber jenseits jeden vernünftigen Zweifels klar, dass es sich um einen Irrweg handelte.

Und trotzdem halten viele Christen an den beiden zugrunde liegenden Thesen fest, an der Verwerflichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen und an der Liebe Gottes zu jedem Menschen. Die Konversionstherapie ist das verbleibende Bindeglied zwischen beiden Thesen, die einzige Möglichkeit, dass beide Thesen gleichzeitig wahr sein können.  Dass manche Ansichten in Bezug auf Homosexualität, die von 20 Jahren noch christlicher Konsens waren, heute nicht mehr aufrecht erhalten werden können, ist auch den Vertretern der Deutschen Evangelischen Allianz klar. Das sind ja keine schlechten oder böswilligen Menschen.

Die angeblich ergebnisoffene Beratung mit gleichzeitigem negativen Spin auf gleichgeschlechtliche Beziehungen ist der ziemlich offensichtliche Versuch, die Idee von Konversionstherapien zu retten, ohne sie so nennen zu müssen, der Versuch, den Irrweg zu leugnen, um ihn nicht wirklich verlassen zu müssen. Denn der Preis dafür, den Irrweg einzugestehen und zu verlassen, ist sehr hoch. Es geht hier nicht nur um persönliche Eitelkeiten. Es geht um berufliche Karrieren und um Lebenswerke. Es geht um Institutionen. Wenn führende Vertreter der Deutschen Evangelischen Allianz die Konversionstherapie als Irrweg ablehnen und in Konsequenz Homosexualität als von Gott gewollt anerkennen, kann das das Ende der Deutschen Evangelischen Allianz in ihrer derzeitigen Form bedeuten. Ich denke, das haben Parzany und seine Anhänger sehr deutlich gemacht.

Ich weiß ja selbst, wie schwierig die Abkehr vom Irrweg sein kann. Für mich war der Preis längst nicht so hoch, trotzdem habe ich viel zu lange diesen Irrweg nicht nur selbst beschritten, sondern auch gegenüber anderen vertreten und verteidigt. Ich habe die Auseinandersetzung mit meinen berechtigten Zweifeln gescheut und den Kampf um die Wahrheit verweigert. Dadurch habe ich auch Schuld auf mich geladen.

Ich fürchte, in der Praxis wird ein Verbot zunächst wenig bewirken. Die einschlägigen christlichen Organisationen haben sich längst für ihren Weg entschieden, sie werden ihre Absichten verschleiern und leugnen, sie werden das Verbot umgehen und brechen, und ich denke, sie werden damit weitgehend durchkommen, denn bei Therapie oder Seelsorge, beim geschützten Gespräch zwischen Berater und Ratsuchenden darf der Staat nicht lauschen. Trotzdem sehe ich Gutes im Verbot, weil es klare Grenzen schafft zwischen Weg und Irrweg, weil es die, die Unrecht tun, auch offiziell ins Unrecht setzt, und weil es auf diesem Weg vielleicht das eine oder andere christliche Gewissen beunruhigt oder aufrüttelt. Für mich hätte ein solches Verbot manche Lüge entlarvt, es hätte mich früher zum Nachdenken und auch früher zur Umkehr gebracht. Es hätte mir vermutlich viel Leid erspart.

Dass die einschlägigen Organisationen versuchen, ihren Weg unter anderem Namen weiterzugehen, war leider zu erwarten. Dass sich die Deutsche Evangelische Allianz derart leicht vor deren Karren spannen lässt, erschreckt mich trotzdem. Die christliche Antwort auf einen erkannten Irrweg ist nicht die minimal mögliche Richtungskorrektur, sondern Buße und Umkehr. Die Evangelische Allianz und ihre Vertreter haben als wichtigste Organisation freikirchlicher Christen in Deutschland Vorbildcharakter. In der Frage der Konversionstherapie bieten sie vor allem ein Vorbild in Starrsinn und Wagenburgmentalität, und viele Christen eifern ihnen darin nach. Solange sie nicht dazu bereit und willens sind, ein Vorbild in Buße und Umkehr zu sein, werden weiterhin LGBTQ+-Christen den Glauben an einen liebenden Gott und in manchen Fällen auch den Willen zu leben verlieren.

Bibel-Positivismus

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Eine der philosophischen Grundlagen des modernen Rechtsstaats ist der Rechtspositivismus. Er besagt, kurz gesagt, dass Recht ist, was im Gesetz steht, und nur was im Gesetz steht, und zielt damit in erster Linie auf Rechtssicherheit: Jeder kann (im Prinzip) selbst nachlesen, was erlaubt ist, und was ihn erwartet, wenn er sich nicht daran hält. Der Rechtspositivismus schützt vor Willkür und fördert, dass alle Menschen dem Recht nach gleich behandelt werden. Er hat aber auch Grenzen. Das hat man am Ende des zweiten Weltkriegs festgestellt, denn die unfassbaren Verbrechen der Nazis waren häufig durch die Gesetze gedeckt.

Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch formulierte deshalb im Jahr 1946, dass auch entgegen geltender Gesetze entschieden werden müsse, wenn ihre Anwendung unerträglich ungerecht wäre oder wenn sie selbst die Grundzüge des Rechts verleugnen würden. Diese Radbruch’sche Formel klingt ziemlich unbestimmt, sie stellt, auf Fälle schlimmsten Unrechts begrenzt, zwar die alte Unsicherheit und die Gefahr der Willkür wieder her, ist aber eine offensichtlich notwendige Einschränkung des Rechtspositivismus und damit bis heute Bestandteil der Rechtssprechung der obersten Gerichte.

Warum ich das so ausführlich schildere? Weil viele Christen die Bibel genauso behandeln wie der Rechtspositivismus das Gesetz: Christliche Lehre ist, was in der Bibel steht, und nur, was in der Bibel steht. So wie der Jurist die Antworten zu allen Rechtsfragen im Gesetz suchen muss, suchen diese Christen die Antworten zu allen Glaubens- und Lebensfragen in der Bibel. Analog zum Rechtspositivismus kann man diese Haltung als Bibel-Positivismus bezeichnen, und Google sagt mir, dass ich nicht der erste bin, der diesen Begriff in diesem Sinne gebraucht.

Das Problem am Bibel-Positivismus: Er funktioniert nicht. Die Bibel ist kein Gesetzestext. Das merkt man, wenn man sich moderne Gesetzestexte anschaut: Sie sind bewusst mit der notwendigen Eindeutigkeit und der dazu leider auch oft notwendigen Fachsprachlichkeit formuliert. Gesetzestexte sind selten schön zu lesen, weil sie nicht schön zu lesen sein sollen, sondern weil sie im Sinne des Rechtspositivismus einen genau bestimmten Zweck erfüllen wollen und dazu in erster Linie eindeutig und bestimmt sein müssen.

Bibeltexte genügen diesen Ansprüchen grundsätzlich nicht. Die Bibel besteht in großen Teilen aus Erzählungen und aus Geschichtsschreibung, zwei Literaturgattungen, die wir heute streng unterscheiden, die aber in der Antike wesentlich näher beieinander lagen, und die beide für eine positivistische Auslegung ungeeignet sind. Andere Texte liefern konkrete Handlungsanweisungen, beziehen sich aber meist auf ebenso konkrete Situationen oder spezifische Probleme, so dass ihnen die nötige Allgemeingültigkeit fehlt, die für eine positivistische Auslegung erforderlich ist. Und für die Stellen im Alten Testament, die tatsächlich Gesetzesrang für sich beanspruchen, macht das Neue Testament sehr deutlich, dass sie mit diesem Anspruch für uns heute nicht mehr gültig sind.

Der Bibel-Positivismus legt die Bibel in einer Weise aus, für die sie weder gedacht noch geeignet ist. Er führt zuweilen durchaus zu richtigen Ergebnissen, aber ebenso oft in die Irre und nicht selten zu schlimmen Konsequenzen. Und die werden oft noch viel schlimmer, weil die Bibel-Positivisten kein theologisches Äquivalent zur Radbruch’schen Formel gelten lassen. Statt im unerträglichen Unrecht die Grenzen ihrer Bibelauslegung zu erkennen, wird das Unrecht zum Recht erklärt, weil es sich ja angeblich aus der Bibel ergibt. Beispiele, wie mit der Bibel in der Hand schlimmstes Unrecht begangen wurde, gibt es zu Genüge. Gerade geistlicher Missbrauch geschieht nicht selten mit biblischer Begründung.

Viele Bibel-positivistisch eingestellte Christen erinnern mich auch in ihrem Verhalten nicht an moderne, sorgfältig abwägende Juristen, sondern eher an klassische Westernhelden; der Typus, der schneller zieht als sein Schatten, nur halt nicht den Revolver sondern die Bibel, und der Bibelstellen statt Bleikugeln locker aus der Hüfte feuert. Übrigens trägt der klassische Westernheld auch immer einen weißen Hut, damit man ihn auch noch in der letzten Kino-Reihe leicht vom Bösewicht mit dem schwarzen Hut unterscheiden kann. Womit wir beim Kernproblem des Bibel-Positivismus angelangt sind: Es geht nicht um Recht und Unrecht, sondern um Gut und Böse. Und mit der Bibel In der Hand darf sich der Bibel-Positivist auf der Seite des Guten wähnen und es gegen das Böse verteidigen.

Wir leben aber nicht im Wilden Westen, Gott sei Dank. Denn der klassische Western ist ein guter Ort für Geschichten, aber war ein fürchterlicher Ort zum Leben. Dass Meinungsverschiedenheiten nicht mehr von Revolverhelden, sondern von Juristen und Gerichten geklärt werden, ist außerhalb von Literatur und Film ein gewaltiger Fortschritt. Der Bibel-Positivist wünscht sich in eine Zeit, in der Gut und Böse klar getrennt und einfach unterscheidbar sind, und übersieht, dass es eine solche Zeit außerhalb von Karl-May-Büchern nie gegeben hat.

Unsere Gesellschaft verändert sich rapide. Erklärung und Anerkennung der Menschenrechte, Ächtung des Krieges als Mittel der Politik und auch die Abschaffung der Todesstrafe in vielen Ländern sind vergleichsweise junge Entwicklungen, und selbst die Abschaffung und Ächtung der Sklaverei liegt zeitlich viel näher zu uns als selbst zu den jüngsten biblischen Texten. Das macht die Auslegung und Anwendung der Bibel für uns bedeutend schwieriger als für frühere Generationen. Andererseits ist heute ein Bildungsniveau selbstverständlich geworden, das früher nur gesellschaftlichen Eliten zugänglich war. Wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Leider hat der Bibel-Positivismus es geschafft, sich das Etikett bibeltreu anzuheften; eine Zuschreibung, die zwar gelegentlich abwertend verwendet, aber meist nicht in Zweifel gezogen wird. Ich halte das für falsch. Treue zur Bibel zeigt sich in der intensiven, auch kritischen Auseinandersetzung mit der Bibel, mit ihren zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Randbedingungen, mit Reichweite und Selbstverständnis biblischer Texte, mit Textzusammenhang und heilsgeschichtlichen Linien. Wer Christ ist, muss – im Rahmen seiner Möglichkeiten – immer auch ein kleiner Theologe sein.

Dem gegenüber steht der positivistische Gebrauch der Bibel, der die Bibel zitiert statt auslegt, der Antworten findet auf Fragen, die in der Bibel gar nicht behandelt werden, der die Bibel nicht als Offenbarung erforscht, sondern als Werkzeug gebraucht, der allzu häufig in der Beschäftigung mit Randfragen die Mitte der Schrift verliert. Der Bibel-Positivismus ist ein Missbrauch der Schrift, der die Gefahr des geistlichen Missbrauch von Menschen wesensmäßig in sich trägt. Eine solche Haltung ist nicht bibeltreu und sollte auch nicht so genannt werden.

Allgemeine Lage

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Wie die Zeit vergeht: Über ein Jahr ist mein letzter Eintrag auf dieser Seite alt. Höchste Zeit, mal wieder etwas „Content“ zu produzieren, zumal sich bei mir ein paar Themen angesammelt haben, über die ich gerne schreiben würde. Zum Wiedereinstieg gibt’s ein paar Worte zur Lage der Nation, will sagen, zur aktuellen Nachrichtenlage der queeren Christenheit.

Das Nachrichtenportal queer.de listet in der Rubrik „Glaube“ für dieses Jahr bereits 20 Artikel auf. Die meisten davon beschäftigen sich mit der Katholischen Kirche und ihren mehr oder weniger würdigen Würdenträgern. Das ist nicht weiter verwunderlich: Die schlimmsten homophoben Wortmeldungen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit kommen häufig von römisch-katholischen Bischöfen, aber auch der Meinungskampf zum Thema Homosexualität wird in kaum einer Organisation so offen und so öffentlich geführt wie unter den Katholiken. Der Weg zu einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erscheint mir noch sehr weit, aber er wird mittlerweile von katholischen Bischöfen und Theologen aktiv beschritten. Und der Versuch, den katholischen Theologen Ansgar Wucherpfennig wegen eben dieser Haltung aus dem Amt zu entfernen, ist bekanntlich gescheitert.

Als durchaus überzeugter nicht-Katholik beobachte ich die Lage als Außenstehender. Viel näher trifft mich die Situation in der evangelisch-freikirchlichen Welt, zu der queer.de in den letzten zwei Monaten auch bereits vier verschiedene Meldungen herausgebracht hat. Am Anfang dieser Woche entschied sich die Generalkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche mit knapper Mehrheit, die bisherige, ablehnende Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichen beizubehalten und zusätzlich anders denkenden Pastoren und Gemeinden mit Sanktionen bis hin zum Ausschluss zu drohen. Das Entsetzen gerade unter den europäischen Methodisten scheint groß zu sein. Von einem ungewissen Weg in die Zukunft, ja von Spaltung der Evangelisch-methodistischen Kirche ist die Rede.

Auch vom Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland gibt es eine neue „Orientierungshilfe“ zum Thema Homosexualität, die Ende letzten Jahres erschienen ist und im Februar in vielen Medien diskutiert wurde. Der evangelische Pfarrer und Theologe Dr. Wolfgang Schürger sieht bei Kreuz & queer einen Schritt in die richtige Richtung und zieht ein überwiegend positives Fazit. Das mit dem Schritt in die richtige Richtung kann ich nachvollziehen, das positive Fazit nicht. Das alte Papier des FeG-Bundes von 2004 enthält ein paar recht offensichtliche Lügen, die sich für mich teilweise am Rand der Verleumdung bewegten. Das neue Dokument ist wesentlich sorgfältiger formuliert, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Die neuen Formulierungen ändern nichts daran, dass die vertretenen Thesen krank machend sind und Menschen schweren Schaden zufügen können. Gerade weil allzu offensichtliche Lügen durch plausibel klingende Un- und Halbwahrheiten ersetzt wurden, ist das Dokument schwerer angreifbar und widerlegbar. Ich fürchte, deshalb werden die Inhalte auch von wohlmeinenden Christen eher geglaubt und können damit in der Praxis auch mehr Schaden anrichten.

Mein Eindruck ist allerdings, dass sich das Dokument aber gar nicht so sehr an LGBTQ+-Christen, sondern an anders denkende Pastoren und Gemeindeleitungen richtet. Im Gegensatz zu den Methodisten kann der Bund Freier evangelischer Gemeinden nicht so einfach seine Position nach unten durchregieren, weil die Strukturen andere sind. Dass die Bundesleitung glaubt, ihre Position so wortreich vertreten zu müssen, zeigt schon, dass sie längst nicht mehr von allen Freien evangelischen Gemeinden geteilt wird.

Ich denke da an eine Predigt von Pastor Lars Linder aus der FeG Essen Mitte vom November 2017, die mir sehr nahe gegangen ist. Ich möchte einen Gedanken aus dieser Predigt aufgreifen:

Kirche hat fasziniert, weil sie mit Menschen – die verachtet, stigmatisiert, an den Rand geschoben waren – umgegangen ist in einer Art und Weise, die einzigartig war. (…) Deshalb war Kirche in den ersten Jahrhunderten missionarisch, einladend. Eine Haltung, die Gemeinde Jesu immer wieder neu erkämpfen und erleben lernen muss.

Es geht heute nicht mehr nur darum, ob eine Randgruppe auch ihren Platz am Tisch des Herrn haben darf – auch wenn das allein schon wichtig genug ist. Es geht mittlerweile um deutlich mehr. Es geht um die gesellschaftliche Relevanz, um die ethische Glaubwürdigkeit, um die missionarische Wirksamkeit der christlichen Verkündigung. Wer Schwule und Lesben ins Abseits stellt, stellt sich damit – völlig zurecht – ins gesellschaftliche Abseits und disqualifiziert sich als ethisch-moralische Instanz. Als Beleg seien zwei Zitate aus den Kommentaren bei queer.de angeführt. Zu der Entscheidung bei den Methodisten kommentiert Ralph:

Diese Banden sagen, schwul sein ist unvereinbar mit dem Christentum. Ich aber sage: Das Christentum ist unvereinbar mit Anstand und Vernunft, mit Menschenwürde und Grundrechten, mit Freiheit und Vielfalt.

Und zur „Orientierungshilfe des FeG-Bundes“ schreibt NeverEnding:

Es gibt immer wieder Leute, die meinen, es besser wissen zu wollen. Die keine Fakten kennen und nur ihre eigene Lebenswelt wettschätzen. Die übrigens keine Nächstenliebe umsetzen können.

Die Leser von queer.de sind kein repräsentativer Schnitt durch die Gesellschaft, aber die in diesen Kommentaren vertretene Ansicht ist auch jenseits der queeren Weilt weit verbreitet.

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:

Niemandem geben wir auch nur den geringsten Anstoß, damit unser Dienst nicht verhöhnt werden kann.

Zu viele Christen sehen es leider immer noch als Gütesiegel ihres Glaubens, wenn sie in der Zivilgesellschaft Anstoß erregen. Und zu viele andere Christen spielen dieses Spiel mit, nehmen um des lieben Friedens willen in Kauf, sich in weiten Teilen der Gesellschaft als moralische Instanz zu disqualifizieren. Lieber ein schlechtes Beispiel in Frieden als ein gutes Beispiel im Streit. Ich kann das absolut nachfühlen, aber das macht es nicht besser.

Ich habe den allergrößten Respekt vor den Pionieren der queeren Christenheit, vor einem Günter Baum, einer Valeria Hinck und den vielen anderen, die unter schwierigsten Bedingungen für Toleranz gekämpft haben, als Akzeptanz noch in unerreichbarer Ferne schien. Die Zeiten haben sich – Gott sei Dank – geändert, und ich glaube, es ist an der Zeit, dass die „Verbündeten“, die cis-hetero-Christen sichtbar und laut in diesen Kampf mit einsteigen, ihn vielleicht sogar übernehmen. Denn wenn die Situation der LGBTQ+-Christen so endet, wie in der Zeichnung des nakedpastor David Hayward, ist das nicht nur zum Schaden dieser Menschen, es ist zum Schaden des ganzen Leibes Christi.

Inter

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In einem wegweisenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche festgestellt, dass die Auswahlmöglichkeit männlich  und weiblich zur Beschreibung des Geschlechts einer Person nicht ausreichend sind, und dass es auch nicht genügt, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, diese Stelle leer zu lassen. Wie üblich liefert das Verfassungsgericht keine genaue Lösung, wie das Personenstandsrecht geändert werden muss, sondern beschreibt, was am aktuellen Personenstandsrecht nicht in Ordnung ist, nämlich dass die aktuelle Situation für die klagende Person verfassungsrechtlich nicht zumutbar ist.

Diese lässt sich weder eindeutig dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, was im konkreten Fall eindeutig medizinisch festgestellt wurde. Sie darf daher nicht gezwungen werden, sich ein Geschlecht zuzuschreiben, dem sie nicht angehört. Und auch das leer lassen müssen des Eintrags stellt eine Diskriminierung dar, denn wie die Verfassungsrichter feststellen, ist die geschlechtliche Identität „regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit“. Ein Eintrag ohne Geschlecht würde die Person als unvollständig darstellen, als jemand, der/dem etwas fehlt.

Der Sammelbegriff Intersexualität umfasst eine ganze Reihe von genetischen, anatomischen oder hormonellen Gegebenheiten, die dazu führen, dass ein Mensch biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden kann. Der Begriff ist so uneindeutig und die Datenlage so unklar, dass je nach Definition und Statistik von 80.000 bis 400.000 intersexuellen Menschen in Deutschland ausgegangen werden kann.

Das Thema wurde und wird viel unter den Tisch gekehrt, nicht zuletzt weil vielfach die betroffenen Menschen schon im Säuglingsalter auf ein bestimmtes Geschlecht hin umoperiert wurden (und teilweise immer noch werden), meist auf das weibliche, weil das chirurgisch einfacher ist. Man kann ja vielleicht noch darüber diskutieren, ob es gut ist, wenn erwachsene, selbstbestimmte Menschen sich ihr Äußeres chirurgisch an das Geschlecht anpassen lassen, als das sie sich identifizieren. Ich persönlich halte diese Möglichkeit für einen großen Segen. Aber wenn Ärzte an den Genitalien eines Kindes rumdoktern, das für jeden Willensausdruck bezüglich seiner eigenen geschlechtlichen Identität noch viel zu jung ist, ist das für mich gar nicht gut, das ist für mich nichts anderes als eine Genitalverstümmelung.

So unklar Definition und Statistik sind, so klar und eindeutig ist die Situation meist bei den betroffenen Personen, zum Beispiel bei genetischer Intersexualität. Bei den Geschlechtschromosomen gilt die Kombination xx als weiblich, xy als männlich. Jede andere Kombination, und da gibt es tatsächlich mehrere Möglichkeiten, ist weder eindeutig weiblich noch eindeutig männlich. Das sind medizinische Fakten, die nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden können.

Nun gibt es Christen, die in der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau nach 1. Mose 1, 27 einen abgeschlossenen Katalog allen menschlichen Daseins lesen wollen, dass jeder Mensch entweder eindeutig und in allen Aspekten ein Mann oder eben eindeutig und in allen Aspekten eine Frau sei. Diese Christen mögen im Urteil des Bundesverfassungsgericht einen Angriff auf ihr biblisches, schöpfungsgemäßes Menschenbild sehen. Sie verkennen dabei, dass dieses Urteil auf Fakten beruht, die in sich selbst ein Angriff auf dieses angeblich biblische und schöpfungsgemäße Menschenbild sind.

Dass die Auslegung dieser Bibelstelle auf ein binäres (nur eindeutig Mann und eindeutig Frau kennendes) Menschenbild exegetisch unsinnig ist, habe ich schon vor eineinhalb Jahren geschrieben. Die verschiedenen Formen von Intersexualität zeigen, dass dieses binäre Geschlechtsverständnis schlicht und einfach falsch ist. Ein Menschenbild, das im erkennbaren Widerspruch zur Schöpfung steht, kann nicht schöpfungsgemäß und auch nicht biblisch sein.

Viele Menschen sind sich der medizinischen Fakten, die hinter dem Phänomen Intersexualität stehen, nicht bewusst. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mag dazu beitragen, das Wissen über diese Fakten zu verbreiten. Wenn dieses Wissen bei Christen auf ein binäres Geschlechtsverständnis trifft, wird es zum Prüfstein. Es ist unumstößlicher Teil jedes christlichen Menschenbildes, dass jeder Mensch absichtsvoll von Gott erschaffen ist. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen, die von Geburt an weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind.

Für die Verfassungsrichter ist die Situation eindeutig: Diese Menschen existieren, deshalb haben sie automatisch dieselben Rechte wie alle anderen Menschen. Das im Personenstandsrecht vorgesehene binäre Geschlechtsverständnis zerbricht an der intersexuellen Realität und der verfassungsgemäß garantierten Menschenwürde. Der biblische Befund darf nicht anders aussehen: Das binäre Menschenbild als ausschließlich Mann und Frau zerbricht an der Würde jedes einzelnen Menschen als von Gott liebevoll gewollten und geschaffenen Individuums.

Natürlich sind intersexuell geborene Menschen nicht dazu geschaffen, irgend etwas zu beweisen oder zu widerlegen. Manche von ihnen identifizieren sich als Frau, andere als Mann. Nur ein Teil von ihnen wird die neuen Rechte wahrnehmen, die sich aus dem Verfassungsgerichts-Urteil ergeben. Dafür gibt es andere Menschen, die, obwohl mit biologisch eindeutigem Geschlecht geboren, sich nicht oder nicht allein mit diesem Geschlecht identifizieren. Der Prüfstein Intersexualität kann auf vielerlei Weise zum Stein des Anstoßes werden. Er kann auch zum Eckstein eines Menschenbildes werden, dass die schöpfungsgemäße Vielfalt geschlechtlicher Identitäten preist und das Recht jedes Menschen, diese selbst zu entdecken, ehrt.

Huhn und Schwein

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Ein Huhn und ein Schwein wollen ein Restaurant eröffnen.
Das Schwein frag das Huhn: „Was wollen wir anbieten?“
Das Huhn antwortet: „Wie wär’s mit Eier und Speck?“
Darauf sagt das Schwein: „Das ist unfair. Ich bin persönlich betroffen, du bist nur beteiligt.“

Die Geschichte von Huhn und Schwein wird gerne erzählt, wenn es um Projektmanagement geht. Bei jedem Projekt gibt es Leute, die beteiligt sind und vielleicht wichtige Beiträge liefern. Aber es gibt auch die persönlich betroffenen, die jede Entscheidung, vor allem jede Fehlentscheidung ausbaden müssen. Die Theorie sagt nun, dass es keine gute Idee ist, wenn wichtige Projektentscheidungen von denen getroffen werden, die nur beteiligt sind. Die persönlich Betroffenen treffen solche Entscheidungen nämlich meistens gründlicher und nachhaltiger, weil sie ja genau wissen, dass sie selbst mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen leben müssen.

Die Geschichte kommt aus der Management-Theorie, aber sie betrifft natürlich auch viele andere Lebensbereiche und auch die christliche Gemeinde. Wie der ältere Pfarrer, der zu seinem Kollegen sagte: „Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als wir über die Frauenfrage diskutieren konnten, ohne dass die Frauen mitreden wollten?“

Männer diskutieren über die Rechte der Frau, Weiße über Rassismus und Heteros über Homosexualität. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei Huhn und Schwein. Die Beteiligten treffen Entscheidungen über die Betroffenen und merken meist nicht einmal, was sie diesen zumuten. Und die Betroffenen sehen sofort, dass die Beteiligten die Problematik überhaupt nicht verstanden haben.

Mir wurde auch schon gesagt, dass ich als Betroffener keine eigene Entscheidung zum Thema Homosexualität treffen sollte, dass ich nicht Richter in eigener Sache sein könne. Es geht hier aber nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um mich als Person. Und über alles, was mich als Person betrifft, bin ich selbst (abgesehen von Gott) der Einzige, der genügend Wissen hat, um hier ein Urteil zu fällen. Kein Mensch außer mir selbst hat Einblick in meine Seele, und erst recht darf kein anderer Mensch darüber richten.

Im Übrigen gibt es vor Gericht immer zwei Betroffene. Wenn die Entscheidung nun mal unbedingt zwischen Speck und Hühnerbrust getroffen werden muss, tun Schwein und Huhn gut daran, einen neutralen Richter hinzuzuziehen. So lange das Huhn nur Eier beisteuert, sieht die Sache völlig anders aus.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es für einen heterosexuellen Menschen schwierig sein kann, sich in einen schwulen oder lesbischen oder bisexuellen Menschen hineinzuversetzen. Ich merke ja selbst, wie schwer ich mich damit tue zu verstehen, was  zum Beispiel Transgeschlechtlichkeit für einen Menschen bedeutet. Es gibt da aber leider Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen, die sich für kompetent halten, weil sie sich nie tief genug mit dem Thema beschäftigt haben, um den Grenzen ihres Wissens und Verstehens zu begegnen.

Und selbst wenn das Wissen da wäre: Es ist viel zu einfach für das Huhn, den Speck auf die Speisekarte zu nehmen. Diese Entscheidung kann und darf nur vom Schwein getroffen werden. Und vor allem muss das Schwein dabei keine Rücksicht auf das Huhn nehmen, nur weil dieses seine Eier beisteuert.

Ich glaube, so manche Diskussion, zu Homosexualität und zu vielen anderen Themen, würde erheblich besser laufen, wenn sich zuerst alle Teilnehmer die Frage stellen, ob sie Schwein oder Huhn sind, ob sie wirklich Betroffene oder nur Beteiligte sind. Es ist ja nicht so, dass die Hühner nichts zu geben hätten, ihre Eier sind ja nicht wertlos. Und genauso kann der Rat der Beteiligten von großem Wert für die Betroffenen sein. Aber wenn die Beteiligten sich des Unterschieds zwischen Huhn und Schwein nicht bewusst sind, wenn sie sich auf die gleiche Ebene mit den Betroffenen oder womöglich sogar über sie stellen wollen, dann wird ihr Rat fast zwangsläufig nutzlos und häufig auch sehr verletzend.

Ich schreibe über andere und meine natürlich auch mich. Natürlich habe ich auch schon das eine oder andere Gespräch ruiniert, weil ich mir meiner Rolle als Huhn nicht bewusst war. Ich möchte besser darin werden zu erkenne, wenn der Andere persönlich betroffen und ich nur beteiligt bin, und mich entsprechend verhalten. Aber ich habe mir auch vorgenommen, mich auch deutlicher zu wehren, wenn ich mich in der Rolle des Schweins wiederfinde und andere über meinen Speck entscheiden wollen. Ich will versuchen, das liebe- und rücksichtsvoll zu tun, aber ich will auch versuchen, klare Grenzen zu setzen, wenn es Anderen als Beteiligten nicht zusteht, über mich als Betroffenen zu urteilen. Ich denke, die Geschichte mit dem Huhn und dem Schwein kann dabei nützlich sein. Vielleicht werde ich sie noch öfter erzählen.

Brot, Steine und Wunder

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Es ist müßig, darüber zu diskutieren, welche Wunder Gott tun kann, und wo eventuell die Grenzen seiner Macht liegen. Schon beim Versuch schlägt die menschliche Logik Purzelbäume und verknotet das Hirn. Gottes Allmacht ist zu groß für den menschlichen Geist.

Es gibt aber Wunder, bei denen weigert sich Gott einfach, sie zu tun, obwohl sie in seiner Macht lägen. So zum Beispiel in der Wüste, wie Matthäus im vierten Kapitel berichtet: Jesus hat Hunger, aber er will keine Steine in Brot verwandeln, wie ihm der Teufel vorschlägt. Dabei ist Hunger durchaus ein legitimer Grund für ein Wunder. Bei zwei Gelegenheiten macht Jesus aus wenig Brot viel Brot, so dass tausende Menschen satt werden.

Es gibt natürlich viele Unterschiede zwischen diesen Ereignissen, aber ein ganz wesentlicher ist der Ausgangsstoff. Seit die Menschheit gelernt hat, Getreide anzubauen, erlebt sie Jahr für Jahr, wie aus wenigen Körnern viele Körner werden, wie aus jedem einzelnen Getreidekorn eine Pflanze wachsen kann, die wiederum viele neue Körner trägt. Das ist das ursprüngliche Wunder der Brotvermehrung, ein Wunder, dessen Zusammenhänge und Wirkmechanismen wir über die Jahrhunderte immer besser verstanden haben und mittlerweile bis ins kleinste Detail erklären können. Es ist einer der vielen, guten und kreativen Gedanken, die Gott in die Welt hinein geschaffen hat.

Was Jesus bei den beiden Speisungswundern tut, entspricht diesem Gedanken Gottes: So wie auf natürlichem Wege aus wenig Korn viel Korn wird und die Menschen sättigt, wird hier auf übernatürlichem Wege aus wenig Brot viel Brot, und die Menschen werden satt. In dieser spezifischen Situation fehlt einfach die Zeit und die Möglichkeit, eben mal schnell Getreide auszusäen, zu ernten, zu mahlen und Brot daraus zu backen. Jesus lässt die natürlichen Vorgänge sozusagen im Kurzschluss ablaufen. Das ist weit jenseits jeder naturwissenschaftlich erklärbaren Möglichkeit, es ist ein echtes Wunder, aber es entspricht immer noch dem Grundgedanken Gottes, wie er sich in der Natur offenbart.

Viele Wunder Jesu entsprechen diesem Schema. In der Natur entsteht durch hoch komplexe, aber natürliche Vorgänge aus Wasser, Kohlendioxid, Sonnenenergie und ein paar anderen Zutaten Wein. Jesus macht auf der Hochzeit zu Kana Wasser zu Wein, ganz ohne diese vielen, langwierigen Zwischenschritte. Und viele der Heilungswunder sind außergewöhnliche Beispiele des Gedanken Gottes, der auf gewöhnliche Weise auch in den Selbstheilungskräften des menschlichen Körpers wirkt.

Steine zu Brot zu machen, ist etwas völlig anderes. Nichts, aber auch gar nichts in der Natur deutet darauf hin, dass diese Umwandlung Teil von Gottes Schöpfungsplan ist. Es gibt bestimmt mehrere Gründe, warum Jesus den Vorschlag des Teufels zurückweist, aber ein wichtiger steht in Johannes 5, 19. Jesus sagt: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht.“ Jesus kennt den Schöpfer. Er kennt die Schöpfungsgedanken. Er war dabei. Er sieht, wie in der Schöpfung aus wenig Nahrung viel Nahrung wird und tut desgleichen. Er sieht, dass in der Schöpfung niemals aus einem toten Stein Nahrung hervorgehen kann, und weigert sich, dies selbst zu tun.

Es gibt ein Wunder, um das praktisch jeder homosexuelle Christ Gott schon gebeten hat. Es gibt ein Gebet, das so gut wie jeder schwule oder lesbische Christ schon gesprochen hat, die meisten von uns sehr intensiv und über lange Zeit hinweg. Es lautet: Gott, mache mich hetero. Es ist ein Gebet, das nicht erhört wird.

Viele Christen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen, halten sich verzweifelt an dieser vermeintlichen Möglichkeit fest, die sie Heilung nennen. Dabei ist längst klar, dass diese Heilungsversuche fast immer nutzlos, gefährlich und nicht selten schädlich sind. Die größte Organisation dieser Bewegung, Exodus International, hat sich bereits vor vier Jahren selbst aufgelöst, viele ihrer früheren, führenden Mitglieder haben sich für das von ihnen verursachte Leid entschuldigt, leben in festen, gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder setzen sich für deren Akzeptanz unter Christen ein.

Aber immer noch beten unzählige Christen verzweifelt um dieses Wunder, dass Gott ihre sexuelle Orientierung, ihre geschlechtliche Identität ändert, damit sie in das heteronormative Schema passen, das ihre Umgebung von ihnen verlangt. Und es ist wahr: Dieses Wunder würde ihre Probleme lösen, würde sie aus Leid und Verzweiflung befreien. Warum erhört dann Gott diese Gebete nicht, warum verweigert er das Wunder? Weil es sich dabei um ein Brot-zu-Steine-Wunder handeln würde.

Die Schöpfung Gottes ist von überbordender Vielfalt. Sie zeigt im Großen und in unzähligen Details, wie der Schöpfer aus wenigen Grundgedanken eine atemberaubende Vielzahl an Varianten und Kombinationen hervorbringt. Dieses Grundkonzept ist ohne jeden Zweifel Teil der guten und kreativen Gedanken, die Gott in seiner Schöpfung verwirklicht hat. Das gilt auch für die sexuelle Identität. Aus den Grundgedanken Mann und Frau setzt Gott in immer neuer Kombination Milliarden von Individuen zusammen, viele davon sehr ähnlich der Standardausstattung, wie sie auch Adam und Eva hatten, manche aber auch deutlich anders, schwul, lesbisch, trans, inter, nicht-binär.

Nach vierzig Tagen in der Wüste muss Jesus nicht nur sehr großen Hunger, sondern auch sehr große Not gelitten haben. Er brauchte wirklich dringend etwas zu essen, viel dringender als die tausende Menschen, die er später durch ein Wunder satt gemacht hat. Trotzdem macht er keine Steine zu Brot. Not, und sei sie noch so groß, ist keine ausreichende Begründung für ein Wunder, das nicht dem Wesen und den Gedanken Gottes entspricht. Wer die Heilung von Homosexualität propagiert, handelt nicht zwangsläufig in böser Absicht. Aber er verspricht Menschen in großer Not ein Wunder, das Gott nicht tun wird, weil es nicht seinen guten Schöpfungsgedanken entspricht. Er spricht letztlich mit der Stimme des Versuchers in der Wüste.

Textkritik

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Im Nachgang zur Bundestagsentscheidung für die Ehe für alle hat sich auch Ulrich Parzany zu Wort gemeldet und über das Netzwerk Bibel und Bekenntnis eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie endet in einer sogenannten Kanzelerklärung. Parzany empfiehlt, diese so oder in ähnlicher Form „in Gottesdiensten oder anderen Gemeindeversammlungen abzugeben.“ Theologische Inhalte sucht man in dieser Erklärung vergeblich. Ich denke, aus der übrigen Stellungnahme lässt sich ableiten, dass es auch nicht der Zweck dieser Erklärung ist, die Position Parzanys theologisch oder exegetisch zu begründen. Ich möchte stattdessen versuchen, anhand dieses Beispiels die sprachlichen Mittel herauszuarbeiten, mit denen die Gegner der Ehe für alle häufig arbeiten, und gehe dazu Satz für Satz vor.

Aus aktuellem Anlass möchte ich als Pfarrer / Prediger dieser Gemeinde / Gemeinschaft, der für die Bewahrung der christlichen Lehre verantwortlich ist, etwas klarstellen.

Parzany formuliert aus der ich-Perspektive desjenigen, der seine Erklärung verliest. Obwohl er die genaue Formulierung nur als Vorschlag gewertet sehen möchte, schreibt er sie bewusst so, dass sie in verschiedenen Gemeinden und Gemeinschaften wörtlich vorgelesen werden kann. Dabei wird sie dann aber nicht als Stellungnahme Parzanys sondern als Stellungnahme des Vorlesenden verstanden. Parzany bedient sich also zur Verbreitung seiner Position der geliehenen Autorität des Pfarrers bzw. Predigers vor Ort.

Während in der Überschrift und den einleitenden Worten noch von einer Erklärung die Rede ist, spricht der eigentliche Text nun von einer Klarstellung. Es geht also weder um eine Erklärung im Sinne einer Begründung, noch im Sinne einer Deklaration. Klarstellen kann man nur etwas, über das man selbst offensichtlich zweifelsfreies Wissen hat und die anderen nicht. Parzany will mit seiner Erklärung nicht etwa die Diskussion um gleichgeschlechtliche Beziehungen voranbringen, er will sie durch seine bzw. die geliehene Autorität ersticken.

Der Deutsche Bundestag hat entschieden, dass auch homosexuelle Paare die Ehe schließen können.

Das hat er natürlich nicht. Er hat beschlossen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare die Ehe schließen können. Es sollte jedem, der sich mit diesem Thema beschäftigt, klar sein, dass nicht alle Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung sind, automatisch homosexuell sind. Und es soll auch vorkommen, dass homosexuelle Menschen eine Ehe mit einem Partner des anderen Geschlechts eingehen. Das Eherecht kümmern sich auch nicht um die sexuelle Orientierung, sondern ausschließlich um die Geschlechtszugehörigkeit der Ehepartner.

Das mag ein harmloser Fehler sein, wenn er nicht bei Parzany und vielen anderen auf einem übersexualisierten Verständnis gleichgeschlechtlicher Beziehungen beruhen würde. Aus seinen übrigen Ausführungen wird deutlich, dass er Homosexualität überwiegend als Synonym für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sieht und damit nicht nur den Themenkomplex der sexuellen Orientierung weitgehend ignoriert, sondern auch die lebenslange, auf gegenseitige Treue ausgelegte Lebensgemeinschaft zweier gleichgeschlechtlicher Menschen nur aus der sexuellen Perspektive wahrzunehmen vermag.

Dieser Beschluss widerspricht dem biblischen Verständnis der Ehe, die nach Gottes Willen und Stiftung eine Verbindung zwischen Mann und Frau ist.

Die nächste geliehene Autorität: Parzany nimmt für sich in Anspruch, das biblische Verständnis der Ehe zu vertreten und spart sich die Begründung. Das wäre in Ordnung, wenn es in dem Text um eine Positionsbestimmung Parzanys selbst ginge. Als Klarstellung im Sinne der einleitenden Worte stellt dieser Satz eine Anmaßung dar, die jede Fehlbarkeit des Autors bzw. des Vorlesenden im Bezug auf sein Bibelverständnis ausschließt.

Die Paarung zwischen Mann und Mann und Frau und Frau widerspricht dem Willen Gottes.

Man kann dem Autor hier eventuell noch zugutehalten, dass er Paarung im Sinne von ein Paar bilden gebraucht. Die Primärbedeutung des Wortes Paarung ist aber ohne Zweifel die Begattung bei Tieren. Es ist nicht anzunehmen, dass einem erfahrenen Redner wie Parzany diese Doppeldeutigkeit versehentlich unterlaufen ist. Parzany gelingt es durch geschickte Wortwahl, gleichgeschlechtliche Beziehungen gefühlsmäßig auf das Niveau tierischer Triebbefriedigung zu stellen, ohne dies offen auszusprechen. Er betreibt damit die Entmenschlichung homosexueller Menschen. Selbst wenn ihm das doch unbewusst unterlaufen sein sollte, macht es die Sache an sich nicht besser.

Sie führt zum Ausschluss aus dem Reich Gottes, erklärt der Apostel Paulus (1.Korinther 6,9f).

Ich möchte hier gar nicht näher darauf eingehen, dass eine einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstelle kaum ausreichen dürfte, anderen Menschen das Christsein abzusprechen. Es ist allerdings sehr bezeichnend, dass Parzany hier mit dem Ausschluss aus dem Reich Gottes eine äußerst unpersönliche Formulierung für einen äußerst dramatischen Vorgang wählt. Parzany wäre vermutlich der letzte, der behaupten würde, dass es beim Christsein nur um eine Mitgliedschaft und nicht um eine persönliche Beziehung zu Gott gehen würde.

Die meisten homosexuellen Christen kennen die tiefe, innere Auseinandersetzung, wie sich gängige theologische Positionen mit der Liebe Jesu vereinbaren lassen. Das Versagen der Gegner gleichgeschlechtlicher Beziehungen, hierauf eine halbwegs brauchbare, seelsorgerliche Antwort zu finden, spricht eine ebenso deutliche Sprache wie die geistliche Kraft, die von vielen homosexuellen Christen ausgeht, die in dieser Frage eine positive Antwort und einen liebenden Gott gefunden haben. Parzany wischt diese Fragen durch die Wahl einer möglichst unpersönlichen Formulierung zur Seite. Möglicherweise ist dies ein weiteres Zeichen für die Entmenschlichung Homosexueller im Denken Ulrich Parzanys.

Deshalb ist das neue Eheverständnis für unseren Glauben, unser Lehren und Handeln als christliche Gemeinde ungültig und nicht maßgebend.

Es ist ein beliebter rhetorischer Trick, die eigentliche Streitfrage als (im eigenen Sinne) geklärt darzustellen, um den Streit auf ein Nebenthema zu verschieben. Es geht bei der Ehe für alle aus christlicher Sicht nicht darum, ob ein eventuelles, neues Eheverständnis für die Gemeinde maßgebend ist, sondern darum, ob die Ehe für alle überhaupt ein neues Eheverständnis beinhaltet. Sie öffnet die äußerst wichtige Institution Ehe einer Gruppe von Menschen, die bisher davon ausgeschlossen waren. Ob sich dadurch die Institution Ehe an sich ändert, ist die Kernfrage der ganzen Diskussion, und die Befürworter der Ehe für alle sehen darin gerade kein neues Eheverständnis.

Durch die selbstverständliche Voraussetzung, dass hier ein neues Eheverständnis propagiert wird, verschiebt Parzany die Fragestellung von ihrem Kern weg hin zu einem Argumentationsschema, das vielen Christen vertraut ist: Wir bewahren die Lehre gegen den bösen Zeitgeist.

Gerne kann ich Ihnen dazu im persönlichen Gespräch Näheres mitteilen.

In all den Jahren meines Christseins ist mir kaum ein heterosexueller Christ begegnet, der ein brauchbares Verständnis von Homosexualität hatte. Selbst wenn ich mich ratsuchend an andere Christen gewandt hatte, war doch meistens ich derjenige, der dem Anderen etwas erklärt. Ich darf daran erinnern, dass die ich-Form in diesem Satz sich nicht auf Parzany sondern auf den vortragenden Pfarrer oder Prediger bezieht, der in den meisten Fällen keine besondere Erfahrung und keine besonderen Kompetenzen im Themenfeld Homosexualität besitzt. Sonst würde er ja nicht auf die vorformulierte Erklärung Parzanys zurückgreifen. Das einzige, was den Redner für ein solches persönliches Gespräch qualifiziert, ist wohl, dass er kritiklos Parzanys Meinung vertritt.

In Summe handelt es sich bei Parzanys Kanzelerklärung um ein Dokument der Ausgrenzung. Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden entmenschlicht und geistlich ausgeschlossen. Sie tauchen bei Parzany nicht mehr als erlösungsbedürftige und erlösungswerte, von Gott geliebte Menschen auf, sondern nur noch als Feinde biblischer Lehren, als von Gott Verstoßene, als tierischen Trieben Verfallene. Der brillante Redner Parzany verpackt dies geschickt in Worte, denen man diese üble Botschaft nicht auf den ersten Blick ansieht. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ausgerechnet der langjährige, erfolgreiche Evangelist Ulrich Parzany mittlerweile einen erheblichen Teil seiner Zeit und Energie darauf verwendet, homosexuellen Menschen den Zugang zu Gott zu verwehren. Es ist sehr traurig.

Politisch korrekt

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Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.

So steht es in Sprüche 12, Vers 18. Niemand wird daran zweifeln, dass Worte Wirkungen haben. Sie können verletzten und heilen, sie können diskriminieren und integrieren, sie können zerstören und aufbauen. Die Bibel ermahnt uns deshalb völlig zurecht und an verschiedenen Stellen, vorsichtig mit unseren Worten zu sein, wenige Worte zu machen und eher mal auf eine Aussage zu verzichten, wenn wir deren Wirkung nicht einschätzen können. Wo viele Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab“, heißt es an anderer Stelle im Buch der Sprüche.

Das weltliche Äquivalent zu dieser biblischen Erkenntnis heißt politische Korrektheit. Es geht um nichts anderes als den Willen, Worte zu vermeiden, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können. Etwas, zu dem sich jeder halbwegs anständige Mensch verpflichtet fühlen sollte. Trotzdem ist der Begriff für viele Menschen zum Feindbild geworden, zum Inbegriff für Sprach- und Denkverbote, für Zensur. Wie ist das möglich?

Ein besonders plakatives Beispiel, an dem diese Entwicklung verdeutlicht werden kann, ist das Zigeunerschnitzel. Auch wenn das, was man heute unter diesem Namen bekommt, wenig mit der traditionellen Zubereitung zu tun hat: Das Gericht hat seinen festen Platz auf der Speisekarte insbesondere von Schnellrestaurants und Kantinen. „Zigeuner-“ steht hier für eine bestimmte Zubereitungsart, für die es tatsächlich keinen vergleichbar prägnanten Begriff gibt.

Außerhalb der Küchensprache steht das Wort Zigeuner für die Abwertung, Marginalisierung und Diskriminierung einer ganzen Volksgruppe. Ich muss hier die Verfolgungs-Geschichte und -Gegenwart der europäischen Roma nicht weiter ausführen. Kein Sinto oder Rom würde sich selbst als Zigeuner bezeichnen, noch würde er eine solche Bezeichnung von anderen akzeptieren. Der Begriff hat eine eindeutig negative Konnotation, in der sich wohl für die allermeisten Angehörigen dieser Volksgruppen nicht nur geschichtliche, sondern auch selbst erlebte Herabwürdigung und Diskriminierung widerspiegeln.

Nun kann das Zigeunerschnitzel an sich kaum als Diskriminierung von Sinti und Roma angesehen werden. Darum geht es auch gar nicht. Aber eine Speisekarte wird typischerweise von hunderten oder tausenden Menschen gelesen, ist also immerhin ein veröffentlichtes Dokument mit nicht ganz unwesentlicher Verbreitung. Es braucht nur wenig Einfühlungsvermögen, um sich vorzustellen, welche Wirkung die ständige Begegnung mit diesem Wort auf Menschen hat, für die das Wort Zigeuner Inbegriff ihrer eigenen, erlebten Diskriminierung ist.

Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert. Auch wenn es sich im konkreten Fall vielleicht nur um Nadelstiche handelt, ändert das nichts am biblischen Gebot, die eigenen Worte mit Bedacht zu wählen. Zugegeben, der Verzicht auf die Bezeichnung Zigeunerschnitzel macht Umstände und stört eine (vielleicht lieb gewonnene, aber doch letztlich recht nebensächliche) Gewohnheit. Aber wer glaubt, der Bibel entnehmen zu können, dass die eigene Bequemlichkeit wichtiger ist, als die Bedürfnisse anderer, der hat eine andere Bibel als ich.

Noch schlimmer wird es, wenn der Verzicht auf potenziell verletzende Begriffe zum Verbot hochstilisiert wird, wenn die Gegner politischer Korrektheit von Zensur und Meinungsdiktatur schreien. Mal abgesehen davon, dass es meist ziemlich lächerlich wirkt, wenn Menschen sich lautstark in der Öffentlichkeit darüber beschweren, dass sie sich nicht öffentlich äußern dürfen: Wer versucht, freiwilligen Verzicht als Verbot, das Bemühen um sorgfältige Wortwahl als Zensur darzustellen, handelt niederträchtig, denn er argumentiert ad hominem, d. h. er versucht nicht, die Argumente des Gegners zu widerlegen, sondern die Person des Gegners zu diskreditieren.

Natürlich kann man es auch mit der politischen Korrektheit übertreiben. Vielleicht gehe ich auch schon mit meinem Beispiel zu weit, darüber kann man gern diskutieren. Und wenn tatsächlich jedes Wort auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt werden müsste, wäre eine vernünftige Kommunikation nicht mehr möglich. Darum ist es wichtig, sich auf die sowohl säkularen als auch biblischen Grundlagen politisch korrekter Sprache zu besinnen: Worte können andere Menschen verletzen, deshalb ist es wichtig, Worte sorgfältig zu wählen. Dabei ist es offensichtlich nicht entscheidend, wie meine Worte auf mich wirken, sondern wie sie beim Gegenüber ankommen, bzw. bei meinen potenziellen Lesern, sofern ich meine Worte veröffentliche.

Dazu bedarf es der Tugenden Einfühlungsvermögen und Lernbereitschaft, welche meines Erachtens auch zutiefst christliche Tugenden sind. Und natürlich die Bereitschaft, den Anderen wichtiger als (oder zumindest genauso wichtig wie) sich selbst zu nehmen. Dabei kann es nicht schaden, sich bei Interessengruppen zu informieren oder die entsprechenden Menschen einfach mal persönlich zu fragen. Was Worte in Menschen auslösen können, wissen die betroffenen Menschen selbst immer noch am besten. Wer politisch korrekt sein will, möchte das auch wissen, denn er möchte seine Worte so wählen, dass sie andere Menschen nicht verletzen, sondern Heilung bringen.