Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.
Interessanterweise ist dieser Spruch nicht christlichen, sondern heidnischen Ursprungs, er lässt sich laut Wikipedia auf antike griechische und römische Ursprünge zurückführen. Ob er stimmt oder nicht, ist eine sehr schwierige Frage, ich denke, die meisten Christen würden ihn als irgendwie teilweise richtig ansehen.
Der Spruch trifft bei mir einen Nerv, weil er eine unerfüllte Sehnsucht in mir ausdrückt. Ich wäre gern ein Mensch, der nach diesem Spruch leben könnte, ein souveräner, in sich selbst ruhender Mensch, der alle Probleme des Lebens mutig und entschlossen anpackt, der alles tut, was in seiner Macht steht, um dann den Rest, den ganzen, riesigen Rest, der nicht in seiner Macht steht, getrost Gott zu überlassen. Ich bin nicht so ein Mensch.
Ich schreibe heute von Gott als meinem Beschützer. Ich würde gerne von dem Gott schreiben, der mich in den vielen Unwägbarkeiten des Lebens schützt, der mich vor Naturgewalten bewahrt und vor der bösen Absicht anderer Menschen in Schutz nimmt. Ich könnte das tun, aber das wäre unehrlich. Denn ich erlebe Gott als Beschützer, der mich vor den Folgen meiner eigenen Schwäche, meiner eigenen Unfähigkeit, meines eigenen Versagens bewahrt.
Ich gehöre zu den Menschen, die nur mit Mühe durchs Leben stolpern, die Sachen nicht auf die Reihe kriegen, und zwar gerade die Sachen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, und die „normalen“ Menschen leicht fallen. Viele derartige Erfahrungen haben die Überzeugung in mein Herz gepflanzt, dass ich den Grundansprüchen, die man billigerweise an einen Menschen stellen kann, nicht genüge. Eine Überzeugung, deren Wurzeln ich wohl trotz all meiner Bemühungen nie ganz ausreißen können werde.
Deshalb ist der eingangs erwähnte Spruch Gift für mich, weil er Ansprüche an mich stellt, die ich nicht erfüllen kann, und weil er mir folglich die Hoffnung auf Gottes Hilfe raubt und mir selber noch die Schuld dafür gibt. Gott ist glücklicherweise nicht so. Und er ist mir gerade deshalb als Beschützer lieb und wert geworden, weil er mich gerade in meiner Schwachheit beschützt. Es scheint ihm nichts auszumachen, dass ich oft versage, dass ich oft unfähig und hilflos bin. Ich glaube, es ist sogar seine bewusste Entscheidung, die erwähnte giftige Wurzel in meinem Herzen zu belassen.
Ich habe ihn oft gebeten, dieses Gift zu entfernen. Das hat mich oft taub gemacht für seine Botschaft, nämlich dass seine Liebe viel stärker ist als jedes Gift, und dass ich souveräner und selbstsicherer Mensch viel weniger Gelegenheit hätte, seinen Schutz zu erleben. Wenn ich die Andeutungen, die Paulus im 2. Korintherbrief, Kapitel 12 macht, richtig verstehe, dann bin ich wohl mit dieser Erfahrung nicht ganz allein.
Leider werden daraus keine Heldengeschichten gemacht. Ich kann nicht von den großen Gefahren erzählen, aus denen mich die Hand Gottes auf wundersame Weise errettet hat. Und ich tue mich nach wie vor sehr schwer damit, konkret davon zu erzählen, wie Gott immer wieder verhindert, dass der Mist, den ich beständig baue, auf mich zurückfällt. Mir fehlt leider immer noch die Fähigkeit, mich auch mal unbekümmert zu blamieren. Ich arbeite daran.
Aber ich beginne zu begreifen, dass Gottes Liebe sich viel stärker in mancher peinlicher Alltagsgeschichte zeigt als in den großen Heldenepen, die ich mir erträume, und dass sein Umgang mit mir gerade dann besonders liebevoll ist, wenn meine Kräfte mal wieder viel zu früh erschöpft sind. Und was viel wichtiger ist: Ich beginne, das zu spüren. Gottes Liebe dringt durch, ganz allmählich, bis zu den giftigen Wurzeln in mir.
Manchmal hilft die Musik, etwas begreiflich zu machen, was nur schwer in Worte zu fassen ist. Es gibt eine Szene aus der Oper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck, die für mich den Schutz Gottes besser darstellt, als Worte es können. Humperdincks Hänsel und Gretel sind keine unschuldigen Kinder. Sie sind eher ganz normale Kinder, und bis zum Ende des zweiten Aktes waren sie nicht gerade brav. Aber nun sind sie allein nachts im gefährlichen Wald, finden nicht mehr nach Hause und müssen hier übernachten. Bevor sie schlafen, beten sie ein schlichtes, auswendig gelerntes Kindergebet von vierzehn Engeln, die sie beschützen sollen.
Hänsel und Gretel schlafen ein, die Musik wird für einen Moment sehr sanft, sehr zerbrechlich, und spiegelt die Schutzlosigkeit der Kinder wieder, bis sie sich plötzlich verändert. Aus dem aufsteigenden Nebel lösen sich, je zwei und zwei, vierzehn Engel mit Posaunen, und die Musik macht mehr und mehr klar: Mit diesen Geschöpfen ist nicht zu spaßen. Dann erklingt, diesmal gespielt von den Posaunen, erneut die Melodie des Abendgebetes, und erstrahlt in der Macht und dem Glanz dieser kleinen Heerschar Gottes, die sich zum Schutz der Kinder versammelt hat. Und schließlich wird die Musik wieder sanft, die Nachtruhe kehrt ein, aber dieses Mal nicht zerbrechlich, sondern friedlich und wohlbehütet.
Gesehen habe ich diese Szene zum ersten Mal im Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Die eher traditionelle, aber sehr gelungene Inszenierung damals hat gerade die Schönheit dieser Szene besonders zum Ausdruck gebracht. Eine ähnlich beeindruckende Inszenierung habe ich auf YouTube nicht gefunden, deshalb bette ich hier eine konzertante Version ein: