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Läuterung

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In den letzten Wochen habe ich mir öfters Händels Messias angehört. Einer meiner Lieblingssätze ist die Arie mit der Nummer sechs: But who may abide. Das mag auch daran liegen, dass ich ein großer Countertenor-Fan bin und es da hervorragende Einspielungen gibt, wie z. B. die mit Andreas Scholl. Noch mehr beeindruckt hat mich allerdings die zugleich freie und werkgetreue Soul-Gospel-Bearbeitung aus dem Album Handel’s Messiah: A Soulful Celebration mit Patti Austin als Sängerin.

Über die Musik bin ich zum Text gekommen. Händel vertont im Messias eine Sammlung von Bibelstellen, überwiegend aus dem Alten Testament, die ohne weiteren Kommentar ein großartiges und erstaunlich umfassendes Bild des Messias zeichnen. Die Arie bezieht ihr Libretto aus Maleachi 3, Vers 2, wobei der Librettist Charles Jennens den letzten Halbsatz weggelassen hat:

But who may abide the day of His coming, and who shall stand when He appeareth? For He is like a refiner’s fire.

Wer wird aber den Tag seines Kommens ertragen können und wer wird bestehen, wenn er erscheint? Denn er ist wie das Feuer eines Schmelzers (…)

Die deutsche Übersetzung habe ich der Lutherbibel von 1984 entnommen.

Maleachi verwendet ein Bild aus der Metallurgie seiner Zeit: Die Edelmetalle Gold und Silber werden in der Schmelze in speziellen Tiegeln geläutert, das heißt gereinigt. Verunreinigungen werden durch Zusätze gebunden und sammeln sich an der Oberfläche als Schlacke, dadurch können sie vom Edelmetall getrennt werden. Um wirklich reine Edelmetalle zu bekommen, musste der Vorgang mehrfach durchgeführt werden.

Angewendet auf den Menschen erscheint dieser Vergleich erst mal erschreckend. Im Feuer geläutert zu werden, kann keine angenehme Erfahrung sein, und die Frage, wer da am Tag des Herrn überhaupt noch bestehen kann, ist durchaus berechtigt. Was bleibt von mir noch übrig, wenn Gott eines Tages (oder in Ansätzen auch jetzt schon) alles an mir wegbrennt, was nicht seinem Willen entspricht? Das Bild hat aber für mich auch ein paar sehr ermutigende Aspekte:

Zunächst einmal: Läuterung ist Expertenarbeit. Dabei geht es nicht nur um die chemischen Vorgänge und die dazu nötigen Zusätze, die damals nur ein Fachmann mit viel Erfahrung richtig einschätzen konnte. Selbst die Erzeugung der benötigten Temperaturen war mit der Technologie von vor 2.500 Jahren eine Herausforderung. Reines Silber schmilzt bei 962 °C, Gold bei 1064 °C.

Im Text geht es um die Ankunft des Messias. Er allein ist der Schmelzer, der beim Menschen wirklich Edles von Unedlem zu scheiden vermag. Die Bibel betont immer wieder, wie wichtig es ist, diese Aufgabe ihm zu überlassen, sie verbietet uns über Menschen zu urteilen. Das gilt natürlich in erster Linie im Bezug auf andere Menschen, aber warum sollte das für uns selbst anders sein? Eigentlich dürfte ich das Urteil über mein Leben getrost Gott überlassen, aber tatsächlich ertappe ich mich ständig dabei, wie ich über mich selbst urteile. Häufig sind es sogar nur dumme Kleinigkeiten, schlechte Erinnerungen an eigentlich banales Fehlverhalten, die mich aus der Deckung meiner Gehirnwindungen angreifen und mir nachhaltig die Laune verderben können.

Dahinter steht natürlich die übertriebene Erwartungshaltung eines Perfektionisten, der glaubt, ein massives Gold-Nugget sein zu müssen, und doch wie jeder andere Mensch nur aus mutmaßlich goldhaltigem Erz besteht. Aber große Goldklumpen kommen in der Natur nur extrem selten vor, das meiste Edelmetall gewinnt man aus Erzen, denen man ihren Edelmetall-Anteil nicht so ohne weiteres ansieht. Der Läuterer weiß das natürlich, denn andernfalls bräuchte es seine Arbeit ja gar nicht.

Mehr Verunreinigungen bedeutet natürlich auch mehr Schlacke beim Schmelzen und damit mehr Arbeit. Aber ich glaube, Gott, der Herr, hat sich noch nie vor der Arbeit gedrückt. Die Schlacke wird weggeworfen und vergessen. Es zählt einzig und allein, wie viel reines Edelmetall am Ende zurückbleibt. Wer wird bestehen können, was in meinem Leben wird Bestand haben, wenn der Herr erscheint?

Mit meiner Selbstverurteilung gelingt es mir vielleicht, schon im Voraus ein wenig von dem unedlen Material abzukratzen, bevor der Herr mit seinem großen Schmelzofen kommt. Es wird mir damit nicht im Geringsten gelingen, das Gold zu mehren, ganz im Gegenteil. Selbstverurteilung führt zu Angst vor Fehlern, und die steht, das erlebe ich immer wieder, vielen guten Taten im Wege. Wie Alfred Krupp so schön sagte:

Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, macht mehr Fehler. Nur wer die Hände in den Schoß legt, macht gar keine Fehler.

Vielleicht zum Abschluss noch eine wichtige Bemerkung: Es gibt auch beim Menschen das, was die Bergleute Taubes Gestein nennen, also unbrauchbares Material ohne nennenswerten Gehalt verwertbarer Stoffe. Ich bin überzeugt: Wenn der Herr wiederkommt, werden Menschen feststellen müssen, dass sie die Läuterung nicht überstehen, dass nach der Abtrennung der Schlacke nichts mehr von ihnen übrig ist. Die einzige Versicherung gegen dieses Schicksal ist, Jesus in seinem Leben zu haben.

Ich habe diese Versicherung abgeschlossen und kann deshalb dem Tag der großen Läuterung halbwegs gelassen entgegengehen. Auf dem Weg dahin würde es mir sehr helfen, wenn ich mir diese stümperhaften Selbstläuterungs-Versuche abgewöhnen und diese Expertenarbeit dem wahren Experten überlassen könnte. Schön wär’s. Wobei: Bei Gott ist nichts unmöglich …