Mit Bildern ist das so eine Sache: Jeder sieht etwas anderes.
Die Sprache der Bibel ist – zumindest aus heutiger Sicht – ausgesprochen bildhaft. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. An manchen Stellen versucht die Bibel zu beschreiben, was mit menschlichen Worten nicht beschreibbar ist, in der Offenbarung zum Beispiel. An anderen Stellen wird mit einer bildhaften Sprache eine emotionale Nähe geschaffen, die mit anderen Mitteln nicht erreichbar wäre. Die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom verlorenen Sohn kann man kaum lesen, ohne persönlich berührt zu sein. Andererseits lehrt Jesus auch deshalb in Bildern und Gleichnissen, um Menschen den Zugang zu seiner Botschaft zu erschweren, vielleicht weil sie nicht willens sind, sich auch auf einer emotionalen Ebene auf seine Lehren einzulassen.
Bilder sind zwiespältig: Einerseits ermöglichen sie es uns, eine Sache besser zu verstehen, besser zu durchdringen, andererseits führen sie auch von der Sache weg, beschreiben nicht das Eigentliche, sondern nur eine Analogie. Dadurch haben sie Grenzen. Jedes Bild, jedes Gleichnis kann überstrapaziert werden. Treibt man die Auslegung zu weit, kommt zwangsläufig Unsinn heraus.
Das gilt selbst für die wichtigsten, edelsten Bilder in der Bibel. Wir reden von Gott, dem Vater, und von Gott, dem Sohn, und verwenden dabei ein menschliches Bild, um die Beziehung zwischen der ersten und der zweiten Person des dreieinigen Gottes zu beschreiben. Ich bin überzeugt, dass es kein besseres Bild für diese Beziehung gibt, aber wenn wir im Bezug auf Gott von Vater und Sohn reden, versuchen wir nur eine sehr grobe Annäherung an ein Phänomen, das sich menschlichem Denken und menschlicher Sprache entzieht. Eine grobe Annäherung, die grob falsch wird, wenn wir sie zu weit treiben. Der menschliche Vater ist immer vor dem Sohn da. Der göttliche Sohn ist genauso ewig wie der Vater. Es gab keine Vergangenheit, in der die Dreieinigkeit unvollständig war.
Eine weitere wichtige Beziehung ist die zwischen Jesus Christus und der von ihm berufenen und erlösten Gemeinde. Auch diese Beziehung ist letztlich nach menschlichen Maßstäben und mit menschlichen Worten nicht zu fassen. Das tiefste und beeindruckendste Bild dafür in der Bibel ist das von Jesus als Bräutigam und der Gemeinde als Braut. Auch hier greift die Bibel auf eine der wichtigsten menschlichen Beziehungen zurück, um eine der wichtigsten geistlichen Beziehungen zu beschreiben.
Besonders faszinierend an diesem Vergleich ist, dass er ein beide Richtungen funktioniert: Die Liebe zwischen Christus und der Gemeinde kann die Liebe zwischen Brautleuten (und Ehepartnern) inspirieren und vertiefen. Ebenso haben Verliebte und Verheiratete einen besonderen Schlüssel zum Verständnis der Liebe Christi und zur Vertiefung ihrer Liebe zu ihm. Paulus verwendet das Bild auch tatsächlich in beiden Richtungen.
Schwieriger wird es, wenn man versucht, auf dieser Analogie so etwas wie Moraltheologie zu bauen. Eine eins-zu-eins-Übertragung führt – wie bei jedem anderen Vergleich – zwangsläufig zu Unsinn. Andererseits kann man die einschlägigen Bibelstellen nicht einfach außen vor lassen, nur weil sie bildhaft sind. Wo zieht man als sorgfältiger Ausleger die Grenze?
Kommen wir also auf die Rangfolge zu sprechen. Denn eins ist klar: Christus ist das Haupt der Gemeinde. Er ist der Chef, und die Gemeinde ist ihm Gehorsam schuldig. Und schon haben wir fröhlich ein zweites Bild mit in die Diskussion gebracht, nämlich das von Christus als Haupt und der Gemeinde als Glieder eines Körpers. Lassen sich diese beiden Bilder vermischen? Kommt noch etwas vernünftiges dabei raus, wenn wir es tun?
Für die Leser der Paulusbriefe war eine klare Rangfolge zweifellos ein wesentlicher Bestandteil einer ehelichen Beziehung. Der Mann hat das Sagen, die Frau hat zu gehorchen. Die Gesellschaft war ausgesprochen patriarchalisch und dort, wo sie griechisch geprägt war, häufig extrem frauenfeindlich. Für die Christen des ersten Jahrhunderts war die Frage nicht, ob der Mann über seiner Frau stand, denn das war eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Es ging vielmehr um die Frage, auf welche Weise der Mann diese Rolle ausfüllt. Und hier hat gerade das Vorbild Christi als Haupt der Gemeinde den Ehemännern eine ganze Menge zu sagen.
Die Situation hat sich gewandelt, wir reden von Gleichberechtigung und verankern sie sogar in den Grundrechten, also in die einklagbare Basis des menschlichen Zusammenlebens. Gehen wir hier zu weit? Schreibt uns die Bibel mit dem Vergleich mit Christus und der Gemeine eine Rangfolge vor, die uns in der Gesellschaft verloren gegangen ist?
Eins ist schon mal klar: Wir bewegen uns mindestens am Rande biblischer Botschaft. Wir betrachten nur eine Richtung eines Vergleiches, der in zwei Richtungen gültig ist, wir konzentrieren uns auf einen Teilaspekt eines Vergleiches, der in seiner Bedeutung und Auslegung sehr vielfältig ist, und wir bewegen uns in einem Gebiet, in dem die biblische Botschaft schon stark mit gesellschaftlichen Randbedingungen durchmischt ist. Wer allein aus dem Vergleich mit Christus und der Gemeinde die Rangfolge von Mann und Frau als zwingende, biblische Lehre ansieht, hat den Bereich sorgfältiger und gründlicher Bibelauslegung längst verlassen.
Paulus schreibt an die Galater, dass es unter den Kindern Gottes keine Unterschiede mehr gibt, auch nicht zwischen Mann und Frau. Hier werfen wir einen flüchtigen Blick auf die wirklichen, theologischen Grundlagen. Die Realität im ersten Jahrhundert sieht anders aus. Eine wirkliche Gleichbehandlung von Mann und Frau ist unter den Bedingungen des ersten Jahrhunderts nicht lebbar. Dennoch gibt es unter den ersten Christen erstaunlich viele wichtige, einflussreiche Frauen. Kann es sein, dass Paulus hier einfach ein wenig auf die Bremse treten muss, weil die Botschaft Christi ernst genommen werden soll, und weil sich deshalb die Gemeinde nicht zu sehr von den gesellschaftlichen Realitäten um sie herum entfernen darf?
Fragen über Fragen. Ich werde hier bewusst keine eindeutige Antwort geben, weil ich der Überzeugung bin, dass das Neue Testament als Ganzes diese Antwort nicht liefert. Wir erinnern uns: Die Bibel redet nicht zuletzt deshalb in Bildern und Gleichnissen, um den Unwilligen die Augen zu verschließen. Wer mit Hilfe der Bibel sein überkommenes Eheverständnis zementieren will, wird blind für die biblische Wahrheit. Wer mit Hilfe der Bibel sein modernes und progressives Verständnis der Ehe als einzig richtig verkaufen will, wird ebenso blind für die biblische Wahrheit. Der Reichtum der Bibel erschließt sich für den offenen, lernbereiten Nachfolger, der in der Erfahrung von vor zweitausend Jahren nach der Hilfe für heute sucht. Daran möchte ich mich nächste Woche ein wenig versuchen.
Wir als weltweite, christliche Gemeinde sind die Braut Christi. Ein Bild voller Tiefe, voller Schönheit, voller Liebe. Ein Bild, das es wert ist, in alle Richtungen durchdacht, durchlebt, durchfühlt zu werden. Ein Bild, dessen Wert wir verlieren, wenn wir uns nur auf einen umstrittenen Randbereich konzentrieren.
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