Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.
So steht es in Sprüche 12, Vers 18. Niemand wird daran zweifeln, dass Worte Wirkungen haben. Sie können verletzten und heilen, sie können diskriminieren und integrieren, sie können zerstören und aufbauen. Die Bibel ermahnt uns deshalb völlig zurecht und an verschiedenen Stellen, vorsichtig mit unseren Worten zu sein, wenige Worte zu machen und eher mal auf eine Aussage zu verzichten, wenn wir deren Wirkung nicht einschätzen können. „Wo viele Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab“, heißt es an anderer Stelle im Buch der Sprüche.
Das weltliche Äquivalent zu dieser biblischen Erkenntnis heißt politische Korrektheit. Es geht um nichts anderes als den Willen, Worte zu vermeiden, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können. Etwas, zu dem sich jeder halbwegs anständige Mensch verpflichtet fühlen sollte. Trotzdem ist der Begriff für viele Menschen zum Feindbild geworden, zum Inbegriff für Sprach- und Denkverbote, für Zensur. Wie ist das möglich?
Ein besonders plakatives Beispiel, an dem diese Entwicklung verdeutlicht werden kann, ist das Zigeunerschnitzel. Auch wenn das, was man heute unter diesem Namen bekommt, wenig mit der traditionellen Zubereitung zu tun hat: Das Gericht hat seinen festen Platz auf der Speisekarte insbesondere von Schnellrestaurants und Kantinen. „Zigeuner-“ steht hier für eine bestimmte Zubereitungsart, für die es tatsächlich keinen vergleichbar prägnanten Begriff gibt.
Außerhalb der Küchensprache steht das Wort Zigeuner für die Abwertung, Marginalisierung und Diskriminierung einer ganzen Volksgruppe. Ich muss hier die Verfolgungs-Geschichte und -Gegenwart der europäischen Roma nicht weiter ausführen. Kein Sinto oder Rom würde sich selbst als Zigeuner bezeichnen, noch würde er eine solche Bezeichnung von anderen akzeptieren. Der Begriff hat eine eindeutig negative Konnotation, in der sich wohl für die allermeisten Angehörigen dieser Volksgruppen nicht nur geschichtliche, sondern auch selbst erlebte Herabwürdigung und Diskriminierung widerspiegeln.
Nun kann das Zigeunerschnitzel an sich kaum als Diskriminierung von Sinti und Roma angesehen werden. Darum geht es auch gar nicht. Aber eine Speisekarte wird typischerweise von hunderten oder tausenden Menschen gelesen, ist also immerhin ein veröffentlichtes Dokument mit nicht ganz unwesentlicher Verbreitung. Es braucht nur wenig Einfühlungsvermögen, um sich vorzustellen, welche Wirkung die ständige Begegnung mit diesem Wort auf Menschen hat, für die das Wort Zigeuner Inbegriff ihrer eigenen, erlebten Diskriminierung ist.
Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert. Auch wenn es sich im konkreten Fall vielleicht nur um Nadelstiche handelt, ändert das nichts am biblischen Gebot, die eigenen Worte mit Bedacht zu wählen. Zugegeben, der Verzicht auf die Bezeichnung Zigeunerschnitzel macht Umstände und stört eine (vielleicht lieb gewonnene, aber doch letztlich recht nebensächliche) Gewohnheit. Aber wer glaubt, der Bibel entnehmen zu können, dass die eigene Bequemlichkeit wichtiger ist, als die Bedürfnisse anderer, der hat eine andere Bibel als ich.
Noch schlimmer wird es, wenn der Verzicht auf potenziell verletzende Begriffe zum Verbot hochstilisiert wird, wenn die Gegner politischer Korrektheit von Zensur und Meinungsdiktatur schreien. Mal abgesehen davon, dass es meist ziemlich lächerlich wirkt, wenn Menschen sich lautstark in der Öffentlichkeit darüber beschweren, dass sie sich nicht öffentlich äußern dürfen: Wer versucht, freiwilligen Verzicht als Verbot, das Bemühen um sorgfältige Wortwahl als Zensur darzustellen, handelt niederträchtig, denn er argumentiert ad hominem, d. h. er versucht nicht, die Argumente des Gegners zu widerlegen, sondern die Person des Gegners zu diskreditieren.
Natürlich kann man es auch mit der politischen Korrektheit übertreiben. Vielleicht gehe ich auch schon mit meinem Beispiel zu weit, darüber kann man gern diskutieren. Und wenn tatsächlich jedes Wort auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt werden müsste, wäre eine vernünftige Kommunikation nicht mehr möglich. Darum ist es wichtig, sich auf die sowohl säkularen als auch biblischen Grundlagen politisch korrekter Sprache zu besinnen: Worte können andere Menschen verletzen, deshalb ist es wichtig, Worte sorgfältig zu wählen. Dabei ist es offensichtlich nicht entscheidend, wie meine Worte auf mich wirken, sondern wie sie beim Gegenüber ankommen, bzw. bei meinen potenziellen Lesern, sofern ich meine Worte veröffentliche.
Dazu bedarf es der Tugenden Einfühlungsvermögen und Lernbereitschaft, welche meines Erachtens auch zutiefst christliche Tugenden sind. Und natürlich die Bereitschaft, den Anderen wichtiger als (oder zumindest genauso wichtig wie) sich selbst zu nehmen. Dabei kann es nicht schaden, sich bei Interessengruppen zu informieren oder die entsprechenden Menschen einfach mal persönlich zu fragen. Was Worte in Menschen auslösen können, wissen die betroffenen Menschen selbst immer noch am besten. Wer politisch korrekt sein will, möchte das auch wissen, denn er möchte seine Worte so wählen, dass sie andere Menschen nicht verletzen, sondern Heilung bringen.