Die deutsche Sprache kennt drei grammatikalische Geschlechter: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Was sie daraus macht, ist nicht immer logisch und bei weitem nicht immer sachgerecht. Schon Mark Twain hat sich darüber beschwert, dass Mädchen nach der deutschen Grammatik nicht weiblich sein dürfen. Das sorgt für Verwirrung und viele als falsch angestrichene Pronomina in Schüleraufsätzen, aber letztlich handelt es sich dabei um eine grammatikalische Kuriosität.
Aber Sprache besteht nicht nur aus der Einhaltung von Grammatikregeln. Sprache drückt Gedanken, Meinungen und Tatsachen aus. Sprache erzeugt immer auch Wirkung, davon ist die Grammatik nicht ausgenommen. Und wer sich als deutsch Sprechender oder Schreibender dieser Wirkung bewusst ist, stolpert immer wieder über die Besonderheiten der deutschen Sprache, gerade wenn es um Menschen unterschiedlicher geschlechtlicher Identität geht.
Größtes und bekanntestes Übel ist da sicherlich das generische Maskulinum. Schreibt man zum Beispiel von einem Lehrer, denken die meisten Leser an einen männlichen Angehörigen dieser Berufsgruppe, denn ansonsten würde man die Bezeichnung Lehrerin erwarten. Trotzdem soll der Begriff auch herhalten, wenn von einer Gruppe mit gemischter Zusammensetzung die Rede ist, oder wenn man nur allgemein von einem Mitglied des Lehrerkollegiums schreiben will. In beiden Fällen schließt nach den Regeln der deutschen Grammatik das Wort Lehrer ausdrücklich auch weibliche Personen mit ein.
Das ist zunächst unhandlich, aber es ist auch bedeutend mehr. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen häufig trotz gleicher Qualifikation und Aufgaben weniger verdienen als Männer, in der sie oft auch weniger berufliche Möglichkeiten und Aufstiegschancen haben, und wenn eine Führungskraft weiblich ist, spielen für viele Medien Frisur und Kleidung eine größere Rolle als Programme und Entscheidungen. Das generische Maskulinum ist zugleich Ausdruck und Verfestigung dieser gesellschaftlichen Realitäten.
Bei manchen Begriffen finden sich mehr der minder brauchbare Ersatzwörter. Ich habe schon die Bezeichnung Mitglied des Lehrerkollegiums verwendet, kürzer und allgemeiner kann man geschlechtsneutral von der Lehrkraft schreiben. Aus dem Studenten wird der Studierende, beim Schüler wird es schon deutlich schwieriger. Dann gibt es die Lösungen mit Binnenmajuskel (SchülerIn), Gendergap (Schüler_in) und Gendersternchen (Schüler*in). Das sind gute Ideen für Texte, die ohnehin naturgemäß sperrig zu lesen sind, wie Formulare, Verordnungen, Satzungen usw., aber sie haben keine Entsprechung im gesprochenen Wort und stören deshalb auch in geschriebenen Texten den Lesefluss. Der Physiker Martin Bäker verwendet in vielen seiner Blogeinträge ausschließlich weibliche Wortformen und Pronomina, und zwar selbst wenn es um eindeutig männliche Personen geht. Das ist zunächst sehr ungewohnt, aber schon nach kurzer Zeit sehr flüssig zu lesen. Das ist aber auch eine sehr radikale Maßnahme und in sich wiederum auch alles andere als geschlechtergerecht.
Noch schwieriger wird es bei Personen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen. Auch wenn es sich dabei nur um eine Minderheit handelt: Sprache erzeugt Wirkung, und eine Sprache, die eine Minderheit ausschließt und letztlich als nicht existent darstellt, diskriminiert und gefährdet diese Minderheit. Und genau das tut die deutsche Sprache leider: Wer sich nicht als männlich oder weiblich einsortieren kann, wird zur Sache degradiert. Das ist grausam. Gendergap und Gendersternchen wurden erfunden, um diesen Missstand ein wenig abzuhelfen. Sie können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich das Problem nicht ohne einen gravierenden Umbau der deutschen Grammatik lösen lässt, einen Umbau, der zwangsläufig in scharfem Gegensatz zum Sprachgefühl der meisten deutsch sprechenden Menschen stehen wird.
Und damit sind wir beim Kern: Sprache ist Gefühlssache. Weil die meisten Menschen die Entscheidung, was standardsprachlich richtig oder falsch ist, nach dem Gefühl treffen, und nicht aufgrund von auswendig gelernten Grammatikregeln. Sie ist aber auch Gefühlssache, weil Sprache Heimat gibt. Sprachkenntnisse sind nicht ohne Grund eines der wichtigsten Maße für eine gelungene Integration von Migranten. Sprache ermöglich, miteinander zu reden, sich auszutauschen, Gedanken und Meinungen weiterzugeben. Sie vermittelt das Gefühl von Teilhabe und Zugehörigkeit.
Geschlechtergerechte Sprache ist einerseits notwendig, um allen Menschen, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität, dieses Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit zu vermitteln. Geschlechtergerechte Sprache ist aber gleichzeitig eine künstliche, vielleicht sogar verordnete Veränderung einer existierenden, lebendigen Sprache, und für alle, die diese Sprache mit all ihren bestehenden Regeln verinnerlicht haben, ist jede Änderung ein Stück Verlust von Heimat und Zugehörigkeit. Es ist leider so: Die deutsche Sprache ist derzeit nicht in der Lage, allen ihren Sprechern eine wirkliche Heimat zu bieten.
Das heißt nicht, dass es so bleiben muss. Wer öffentlich schreibt oder redet, sollte sich dieses Problems bewusst sein und stets versuchen, den persönlichen Anteil zur Lösung beizutragen. Lebendige Sprachen sind beständigen Veränderungen unterworfen, die allerdings nicht zufällig geschehen. Es muss unser Ziel sein, unsere gemeinsame Sprache langsam und behutsam zu einer größeren Integrationsfähigkeit aller ihrer Sprecher weiterzuentwickeln.
Bis es soweit ist, leben wir vom Kompromiss und vom gegenseitigen Respekt. Die Entscheidung für eine eher geschlechtergerechte oder eher traditionelle Sprache kann nur abhängig von Textgattung und Zielgruppe getroffen werden, und sie muss auch abhängig vom jeweiligen Autor bleiben dürfen, denn Schreiben ist eine persönliche Ausdrucksform und muss das eigene, persönliche Sprachgefühl widerspiegeln. Den Willen zur integrativen Sprache halte ich für eine moralische Pflicht. Die Verurteilung des anderen, nur weil er oder sie bei dieser Abwägung zu einem anderen Ergebnis kommt als man selbst, halte ich für eine moralische Verfehlung.
Ich habe ab und an das Gefühl wir überdrehen hier. Die meisten Menschen ordnen sich doch einem Geschlecht zu und mögen es auch, so wahrgenommen zu werden. Das natürlich auch sprachlich. Wie viele Menschen sind den real von der Unstimmigkeit der Anrede betroffen? Jeder einer von 1000 oder weniger? Wie viele Lehrerinnen fühlen sich von allgemeiner Anrede diskriminiert? Wir verfallen an allen Fronten, der Sprache, der Risiken des Lebens in diese Ausnahmeschiene. Der Masse ist es egal, genau so wie die Masse der Bürger den Tag lebend überstehen, ohne Unfall, Überfall und Vergewaltigung.
LikeLike
Wie klein muss eine Minderheit sein, damit sie ignoriert werden darf? Einer in 1000 wären immerhin über 80.000 Menschen allein in Deutschland. Schon der Anteil der Menschen, die kein eindeutiges biologisches Geschlecht haben, ist eher größer: http://www.isna.org/faq/frequency/ Und das biologische Geschlecht ist nur ein Teil der geschlechtlichen Identität. Es gehört zu den Grundlagen unserer Gesellschaft, dass jeder einzelne Mensch Würde und Schutz genießt, egal ob er von der Masse abweicht, und egal ob ihn die Masse lieber ignorieren würde. Über die Gefahr des „Überdrehens“ und die nötigen Abwägungen habe ich mich ja schon geäußert.
LikeLike
Wie viele werden denn wirklich diskriminiert durch falschen Sprachgebrauch, nicht theoretisch, sondern real. Es gab bisher, ein paar Männer die schwanger waren, einer glaube ich in Deutschland. Ist es jetzt deshalb notwendig, von Schwangerinnen und Schwangeren zu schreiben? Wie real ist das sprachliche Problem wirklich? Ich lebe schon ein halbes Jahrhundert und bin noch niemanden begegnet für den im realen Leben die Anrede ein Problem war. Ich habe regelmäßig Veranstaltungen mit TV, DWT besucht, kein Problem. CSD kein Problem…wo sind die Betroffenen ?
LikeLike