Ehe für alle

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Nun ging es doch überraschend schnell: Am vergangenen Freitag stimmten 393 Abgeordnete (und damit ca. 63 %) des Deutschen Bundestags dafür, dass auch zwei Menschen gleichen Geschlechts eine Ehe eingehen können. Die entsprechende Gesetzesänderung muss noch ein paar Hürden nehmen: Sie muss vom Bundesrat genehmigt und vom Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündigt werden. Und bis die Änderung in Kraft tritt, werden sicher auch noch ein paar Wochen bis Monate ins Land gehen. Vermutlich müssen erst noch passende Verwaltungsvorschriften erlassen und Formulare gedruckt werden.

Und dann wäre da noch das Bundesverfassungsgericht. Nach dessen bisherigen Entscheidungen und Äußerungen ist es sehr wahrscheinlich, aber eben nicht sicher, dass es einer einfachgesetzlichen Eheöffnung zustimmt – wenn es denn zur Klage kommt. Da niemand durch diese Gesetzesänderung benachteiligt wird, käme nur eine Normenkontroll-Klage in Frage, die nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder mindestens einem Viertel der Bundestagsabgeordneten eingereicht werden kann. Die 225 Unions-Abgeordneten, die mit nein gestimmt haben, würden dafür reichen. Bei der Entscheidung, ob sie wirklich klagen, dürfte Wahlkampftaktik eine erhebliche Rolle spielen. Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind 82,6 % der Deutschen für die Ehe für alle.

Trotz der verbleibenden Unsicherheit: Die Entscheidung des Deutschen Bundestags ist ein Grund zu großer Freude. Dabei geht es für mich gar nicht in erster Linie um die mit der Eheschließung verbundenen Rechte. Vor allem durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind die rechtlichen Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft nicht mehr allzu groß. Ich möchte auch keinesfalls die Änderungen im Adoptionsrecht klein reden, nur weil sie für meine Lebenssituation sehr wahrscheinlich keine Rolle mehr spielen. Trotzdem liegt in der Entscheidung eine Bedeutung, die für mich weit über konkrete Rechtsfragen hinausgeht.

Anthony Kennedy, Richter am Obersten Gerichtshof der USA, hat das vor zwei Jahren sehr treffend ausgedrückt:

Keine Verbindung ist tiefgründiger als die Ehe, denn sie verkörpert in der Liebe, Treue, Hingabe, Opferbereitschaft und Familie die höchsten Ideale. Indem zwei Menschen eine eheliche Gemeinschaft bilden, werden sie zu etwas grösserem als sie es zuvor waren.

Es geht um die Teilhabe an, wie Kennedy es schrieb, einer der ältesten Institutionen der Zivilisation. Es geht darum, ob ich nach Ansicht des Staates ein Außenseiter, ein Sonderling bin, dessen rechtliche Position durch ein ganzes Bündel an Sondergesetzen festgelegt werden muss, oder ob ich ein normaler Mensch wie alle anderen bin, für den auch die ganz normalen Gesetze und Vorschriften gelten. Die Bedeutung der Ehe für unsere Gesellschaft, für alle menschlichen Gesellschaften, ist derart hoch, dass ich in dem Ausschluss von dieser Institution nichts anderes als eine Herabwürdigung meiner Person sehen kann.

Die Entscheidung vom Freitag markiert den Anfang vom Ende dieses Ausschlusses, dieser Herabwürdigung, zumindest aus staatlicher Sicht. Es gibt noch viel zu tun, aber dieser Schritt, das Erreichen dieses großartigen Meilensteins muss zunächst mal gefeiert werden.

Leider ist mir nur teilweise nach feiern zumute. Ein großer Wermutstropfen hat sich in die Freude gemischt, und zwar in Form der Reaktion vieler meiner Brüder und Schwestern im Glauben. Die evangelische Nachrichtenagentur idea versprüht, wie üblich bei diesem Thema, als Journalismus getarntes Gift, und nicht wenige meiner christlichen Freunde plappern nach, was die homophobe Seite des Christentums ihnen als angebliche biblische Wahrheit einflüstert. Ich muss zugeben, das Gift tut seine Wirkung.

Heute bin ich mit Angst in den Gottesdienst gegangen. Angst vor möglichen Äußerungen anderer Gemeindemitglieder, die (bewusst oder unbewusst) abwertend und verletzend sind, die (bewusst oder unbewusst) Unwahrheit und Beschimpfung anderer als christliche Überzeugung darstellen. Äußerungen, gegen die ich mich hätte wehren müssen, wenn ich morgens noch in den Spiegel schauen will. Glücklicherweise sind keine derartigen Äußerungen gefallen, und es war dann doch ein sehr schöner Gottesdienst. Trotzdem: Die Angst wird nicht einfach verschwinden.

Ein Musiker hat die letzten Tage genauso erlebt und hat diese Empfindungen in einem Lied ausgedrückt. Mit seiner freundlichen Genehmigung bette ich das hier ein:

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