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Moral und Regenbogen

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Vor einer Woche war ich zum ersten Mal auf einem Christopher Street Day, und zwar ausgerechnet auf dem in Berlin, einem der größten und buntesten der Republik. Überall Regenbogenfahnen, nicht nur bei den Teilnehmern, sondern auch an vielen Gebäuden in der ganzen Stadt.

Als Symbol der LGBTQ-Community ist diese Fahne knapp 40 Jahre alt. Der Künstler Gilbert Baker hat sie 1978 erschaffen, damals mit acht Farben, von denen jede eine symbolische Bedeutung haben sollte. Leider war ausgerechnet die Symbolfarbe für Sexualität (Pink) mit den damaligen Mitteln nicht industriell herstellbar, Türkis wurde aus Symmetriegründen entfernt, so dass die heutige Fahne mit sechs Farben entstand. Es gibt derzeit Bestrebungen, die Farben Schwarz und Braun zu ergänzen, um auf die Gleichstellung von Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe hinzuwirken. Ich glaube aber nicht, dass sich das in Deutschland durchsetzen kann, denn Schwarz ist bei uns vermutlich zu sehr als Trauerfarbe geläufig und Braun, na ja, Braun halt.

Den Regenbogen als Symbol zu verwenden, ist natürlich keine Erfindung von Baker. Er taucht schon sehr früh in der Bibel auf, und zwar in 1. Mose 9 als Symbol des Bundes, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen geschlossen hat. Die folgenden Worte sind zwar aus dem achten Kapitel, gehören aber schon dazu:

Und der Herr sprach bei sich: Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe. So lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Manche Menschen sehen im Christopher Street Day ein Symbol für den Verfall von Sitte und Moral, für das böse Trachten des Menschen, das auch zur Sintflut geführt hat. Es gab Momente am vergangenen Wochenende, da konnte ich das ein wenig nachvollziehen. Man merkt dem CSD wirklich nicht an, dass die Symbolfarbe für Sexualität aus der Regenbogenflagge entfernt wurde, und manches, was ich gesehen habe, ist mit meiner Vorstellung eines christlichen Lebensstils nicht vereinbar. Aber erstens ist der CSD keine christliche Veranstaltung, und zweitens verkennt der Kritiker, dass Gott in der zitierten Bibelstelle ein Pauschalurteil über alle Menschen abgibt: Das Trachten jedes Menschen ist böse, das des freizügigen CSD-Teilnehmers genauso wie das des zugeknöpften Moralisten.

Die Katastrophe der Sintflut hat doch darin ihre Ursache, dass die Menschheit als Hüter von Moral und Ethik gründlich versagt hat. Glücklicherweise besitzt die Schöpfung ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Dynamik, und Gott hat zugesagt, diese zu bewahren. Ernte folgt der Saat, Sommer dem Winter. Die Vorstellung, Gottes Schöpfungsordnung müsse von Menschen bewahrt werden, ist absurd, die Schöpfung hat ihre eigene Ordnung gut im Griff. „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“, schreibt Paulus gleich zwei mal im 1. Korintherbrief. Die Moral menschlichen Handelns erweist sich in ihren Wirkungen: Gutes bring Gutes hervor, Schlechtes erzeugt Schlechtes. Die Schöpfung ist da unerbittlich, sie gehorcht immer ihrer innewohnenden Ordnung und teilt jeder Ursache ihre Wirkung zu, und dass das so bleibt, das hat Gott versprochen.

Diese Ordnung, diese schöpfungsgemäße Moral muss immer neu entdeckt werden, denn sie wird immer neu von den Menschen verdorben, und zwar seit je her. Jede Zeit, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Fehler. Wer Moral und Ethik nur in der Weisheit der Vorfahren sucht, ist auch dazu verdammt, ihre Fehler zu wiederholen.

Die dunklen, grauen Wolken der Sintflut sind das Ergebnis dieser aufgestauten Fehler. Gott setzt dem doch nicht ohne Grund das bunteste aller Naturphänomene entgegen. Es ist nicht das blendend weiße Licht göttlicher Reinheit, dass die moralische Dunkelheit erhellt. Gott fächert es auf in die bunte, grenzenlose Vielfalt seiner Schöpfung. Diese Vielfalt selbst ist natürlich noch keine christliche Ethik, aber nur in dieser Vielfalt kann sie gedeihen, nur in dieser Vielfalt kann sie erkannt werden.

Wir hatten im vergangenen Jahrhundert in Deutschland zwei Staatsformen, die das öffentliche Leben auf eine Farbe reduzieren wollten. Beide waren Brutstätten von Gewalt und Unrecht. Ich möchte keinesfalls die braunen Gräuel und die roten Untaten gegeneinander aufrechnen, aber sie müssen uns beide eine Warnung sein, wohin Einfarbigkeit eine Gesellschaft führt. Das Bekenntnis zur bunten Schöpfungsvielfalt ist das rechte Mittel dagegen. Dabei spielt es gar keine so große Rolle mehr, ob wir uns unter der Regenbogenflagge von 1978 oder dem viel älteren Symbol des Alten Testamentes versammeln.

Man darf Vielfalt nicht mit Beliebigkeit verwechseln, weder als Wunschbild noch als Bedrohung. Der Disput um moralisch und ethisch richtiges Verhalten darf und muss weitergehen. Nicht alles ist automatisch richtig, nur weil es bunt ist. Aber das Bekenntnis zu schöpfungsgemäßer Vielfalt lässt uns diesen Disput mit gegenseitigem Respekt, Lernbereitschaft und Mut zur persönlichen Veränderung führen. Es erhebt uns über uns selbst und öffnet den Blick zum Anderen.

Nicht alles, was ich auf dem Christopher Street Day gesehen habe, fand ich gut und richtig. Aber seit 1970 habe unzählige CSDs und Pride Parades dazu beigetragen, diese Welt zu einem bunteren, einem lebenswerteren, einem besseren Ort zu machen. Ich kann nichts Schlechtes daran finden, Teil dieser Bewegung zu sein. Nächstes Wochenende bin ich in Nürnberg dabei. Ich freue mich darauf.

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