Christliche Wandschränke

Veröffentlicht am

Die englische Sprache bietet ein paar praktische Möglichkeiten. Das Wort gay lässt sich auf beide Geschlechter anwenden, es gibt ein umgangssprachliches Wort für heterosexuell und die Worte girlfriend und boyfriend, deren Eindeutigkeit ich im Deutschen oft vermisse.

Und es gibt den Begriff coming out. Nun, denn haben wir in der deutschen Sprache einfach direkt übernommen, aber dabei geht einiges von seiner Bedeutung verloren, weil die englische Metapher to come out of the closet, die so wunderbar treffend ist, sich mit dem für uns fremdsprachigen Fachausdruck nicht so einfach vermitteln lässt. Sich zu verstecken, sich (zumindest gefühlt) verstecken zu müssen im dunklen, engen Wandschrank, und schließlich hinauszutreten ins Licht und in die Freiheit, das kann jeder nachvollziehen, der ein Coming Out hinter sich bringen musste.

Für lange Zeit, für manche Gemeinden bis heute, bleibt der Wandschrank fest verschlossen. Coming Out ist etwas böses, etwas verderbtes und verwerfliches, weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Homosexuelle sind nach dieser Auffassung Feinde, die die Gemeinde zerstören wollen. Wer sich als schwuler oder lesbischer Christ in einer solchen Gemeinde wiederfindet, dem bleibt nur, die Türen des Wandschranks fest geschlossen zu halten. Von innen. Oder sich, bitte, eine andere, bessere Gemeinde zu suchen.

Es hat sich nämlich dann doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Versteckspiel keine christliche Tugend ist, und das eine Gemeinde ein Ort sein sollte, in dem man offen über alles reden kann, was einen bewegt. Die Türen des Wandschranks werden geöffnet. Was dann kommt, da sind sich die Gemeinden noch nicht so richtig einig.

Manche Gemeinden öffnen die Türen, damit das helle Licht Christi die Dunkelheit erleuchte. Das geht so lange gut, wie der Betroffene dankbar im Wandschrank sitzen bleibt. Man ist als Gast akzeptiert, aber wehe, man kommt auf den Gedanken, mehr als nur Gast sein zu wollen.

Wenn man dann doch den Wandschrank verlassen darf, dann geschieht das zumeist unter Auflagen, häufig in Form einer „freiwilligen“ Selbstverpflichtung zu einem zölibatären Leben, manchmal ergänzt durch verschiedene Vorsichtsmaßnahmen. Man darf durchaus zu seiner sexuellen Orientierung stehen, so lange man sie in ausreichendem Maße als böse und verderbt betrachtet.

Die größte Grausamkeit in diese Richtung läuft unter dem euphemistischen Begriff „reparative Therapie“, ein pseudo-therapeutischer Ansatz, der zum Ziel hat, die sexuelle Orientierung eines Menschen dauerhaft zu ändern. In den wenigen Fällen, in denen diese Versuche überhaupt etwas bewirken, besteht der Erfolg meist darin, die wahre sexuelle Orientierung unter einem solchen Berg an Vorurteilen, Ängsten und Verdrehungen zu begraben, dass sie für Jahre oder sogar Jahrzehnte unsichtbar bleibt – sogar für den so Therapierten selbst.

All diese Ansätze klingen natürlich in den Worten ihrer Befürworter sehr viel freundlicher. Sie haben aber alle gemeinsam, dass das Herz im Wandschrank bleiben muss, dass bei aller angeblicher Freiheit und Freundlichkeit der innerste Kern des Menschen in Dunkelheit und Enge zurückbleibt. Denn die sexuelle Orientierung, die sexuelle Identität ist Teil der menschlichen Identität. Und viele Christen wollen es sogar noch als Zeichen besonderer Freundlichkeit anerkannt sehen, wenn sie diese Identität in einen guten und bösen Teil zerreißen wollen, damit der gute Teil in der Gemeinde angenommen werden kann.

Der Wandschrank ist kein Lebensraum, für keinen Teil der eigenen Identität, der eigenen Persönlichkeit. Der Wandschrank ist Stauraum, ein Ort, in dem man Dinge aufbewahrt, die man nicht unbedingt ständig braucht. Dazu gehört die eigene Vergangenheit. Dazu gehören für mich die Erinnerungen an die Zeiten, die ich im Wandschrank verbracht habe oder versucht habe, Teile von mir im Wandschrank zurück zu lassen. Dazu gehören sehr schwierige, belastende Erinnerungen, die ich nur gelegentlich und vorsichtig und einzeln heraushole. Aber wenn ich in meinen persönlichen Wandschrank schaue, entdecke ich in jeder Ecke Gottes wunderbare Fähigkeit, selbst aus Dunkelheit und Enge immer wieder Gutes zu schaffen. Der Mensch, der ich heute bin, bin ich durch das, was ich erlebt habe, was ich mit Gott erlebt habe. Da finde ich vieles, was besser nie geschehen wäre, aber wofür ich dennoch dankbar sein kann.

Und so wichtig der Wandschrank für mich ist als Stauraum für meine Erinnerungsstücke – als Lebensraum hat er ausgedient, endgültig und zurecht. Und das sollte er auch für alle lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen Christen haben. Jede Lösung, die den Wandschrank zum Lebensraum erklärt, und sei es auch nur für einen Teil eines zerrissenen Menschen, ist keine menschliche, ist keine christliche Lösung.

Eine Antwort »

  1. somelionsomewitchsomewardrobe

    Zu den Forderungen nach reparativer Therapie:

    Die Verwendung dieses Begriffs impliziert mehrere mindestens fragwürdige, eher falsche Annahmen.

    Erstens, dass Homosexualität ein Defekt ist … denn nur Defekte werden repariert.
    Zweitens, dass Homosexualität änderbar ist … denn nur was reparabel ist, wird repariert.
    Drittens, dass dem Patienten geholfen wird … denn das ist Sinn und Zweck einer Therapie.

    (Gelegentlich wird stattdessen von „Konversionstherapien“ gesprochen.
    Dann fehlt die implizierte erste Annahme, die zweite und dritte bleiben.)

    Zum dritten Punkt: Handelt es sich um Therapien?

    Der Blog-Eintrag erwähnt bereits, dass diese „Therapien“ Schaden anrichten können. Wie gravierend dieses Risiko ist, zeigt das in mehreren Ländern etablierte gesetzliche Verbot dieser „Therapien“ bei Minderjährigen.
    (Nein, bei Volljährigen ist das Schadensrisiko nicht geringer … nur wiegt hier die Freiheit des Individuums stärker … bekanntlich dürfen wir uns auch mit Alkohol vergiften oder die Lunge zuteeren trotz nachgewiesener Schädlichkeit.)

    Zum zweiten Punkt: Ist Homosexualität reparabel?

    Mitmenschen, die diese Frage bejahen, weisen oft entscheidend verkürzte Kenntnisse zur Verhaltenspsychologie und zum Stand der Sexualforschung auf. Dieser Wissensmangel wird leider durch viele ebenfalls vereinfachende Medienberichte bestärkt.
    Das Sachverständnis sieht zusammengefasst so aus: Homosexualität ist entweder genetisch bedingt oder erlernt. Was „erlernt“ wurde, kann auch „entlernt“ oder „umgelernt“ werden. Homosexuelle Gene sind bisher nicht bekannt.
    Dieses angenehm einfache Verständnis deckt leider die wahrscheinlichsten Ursachen der Homosexualität nicht ab, nämlich epigenetische Einflüsse während der embryonalen Entwicklung und Prägungen, d. h. irreversibles (!) Lernen.
    Siehe z. B. hier und hier

    Zum ersten Punkt: Ist Homosexualität ein Defekt?

    Aus biologischer Sicht: Eher nicht. Die Tierwelt kommt an vielen Stellen prima damit klar. Siehe z. B. hier.
    Nun ist der Mensch zwar auch aber nicht nur Tier.
    Aus historischer / soziologischer Sicht: Auch kein Problem. Die Menschheit kann prinzipiell gut leben mit homosexuellen Menschen als Teil der Gesellschaft, ohne das Aussterben der Art, den Untergang von Zivilisationen o. ä. befürchten zu müssen.
    Ohne ein auf Vernunft gegründetes Argument bleibt als Argument noch eine externe höhere Autorität: „Aber die Bibel sagt doch …!“ Dabei wird die Sicht auf die Bibel dann oft genauso entscheidend verkürzt wird bei den o. g. Punkten. Schade.
    Nein, nicht nur „schade“ sondern oft Ursache für menschliche Tragödien.

    Like

    Antworten
  2. somelionsomewitchsomewardrobe

    @Markus:
    Wäre es möglich, in deinem Blog die Editierbarkeit der eigenen Kommentare zu aktivieren? Zumindest für eine begrenzte Zeit nach dem Einstellen. Das wäre hilfreich.

    Like

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar