Vor ein paar Wochen schrieb mir ein sehr guter Freund: „Ich finde einfach mehr Argumente die nicht für eine Vereinbarkeit von Homosexualität und Bibel sprechen (…).“ Es sind Sätze wie diese, die einem schwulen Christen immer wieder begegnen: „Homosexualität ist nicht mit der Bibel vereinbar.“ Oder in der schärferen Form: „Homosexualität ist Sünde.“ Ich möchte heute nicht auf die biblische Seite eingehen, die in diesen Sätzen mitschwingt. So weit komme ich gar nicht, denn wenn ich solche „Antworten“ sehe, kann ich nur mit Loriot bzw. Evelyn Hamann ausrufen: „Da regt mich ja die Frage schon auf!“
Homosexualität ist ein Oberbegriff für eine Gruppe sehr unterschiedlicher Phänomene. Ohne zu erklären, was hier genauer gemeint ist, entbehren solche Sätze erst mal völlig jeder Aussagekraft. Meint der Schreiber die sexuelle Orientierung, will er stattdessen etwas über sexuelle Handlungen aussagen oder über erotische oder romantische Gefühle? Redet er von der Beziehung zweier Menschen, und wenn ja, von welcher Art von Beziehung? Oder hat er homosexuelles Verhalten bei Tieren im Blick, dafür gibt es bekanntlich ja auch jede Menge Beispiele. Je nachdem, welche Teilbedeutung man einsetzt, kommt jeweils eine völlig andere Aussage heraus. Die wahre Bedeutung bleibt rätselhaft.
Doch eine Aussage ist in solchen Sätzen tatsächlich immer vorhanden, nämlich die über die Fachkompetenz des Äußernden: Sie ist offensichtlich nicht in annähernd ausreichendem Maße vorhanden. Es ist doch selbstverständlich, dass bei jeder Form moralischer Wertung deutlich zwischen der Persönlichkeit, den Gefühlen und den Handlungen eines Menschen unterschieden werden muss. Wer den Begriff Homosexualität, der ja alle drei Bereiche umfasst, als Ganzes einer Wertung zu unterziehen, macht deutlich, dass ihm zu einem Werturteil in dieser Frage jegliche Grundlage fehlt.
Trotzdem hört und liest man diese Sätze immer wieder. Was macht man nun mit den Menschen, die so einen offensichtlichen Unsinn von sich geben? Ich glaube, ignorieren wäre die beste Lösung. In den meisten Fällen können diese Menschen einfach nicht erkennen, wie wenig sie wirklich über Homosexualität wissen. Wenn man noch bedenkt, wie viele Klischees, Gerüchten und leider auch Lügen auch von christlichen Führungspersönlichkeiten zu diesem Thema quasi als biblische Wahrheit verbreitet werden, entsteht hier leicht, gerade bei Heteros, ein Gefühl scheinbarer Kompetenz, das dann zu den eingangs erwähnten, sinnfreien Aussagen führt.
Zum Glück lassen eben diese Aussagen leicht erkennen, dass der Äußernde nicht wirklich weiß, wovon er spricht, so dass man getrost die Ohren auf Durchzug schalten kann. Aus dem Mund, der einen derartigen Unsinn äußert, ist zum gleichen Thema nicht mit Weisheit zu rechnen. Und mit den Ohren auf Durchzug bleibt der Raum dazwischen schön frei für die netten, liebevollen und oft sehr weisen Sachen, die diese Menschen vielleicht zu anderen Themen zu sagen haben.
Wenn es denn so einfach wäre. Mir fällt dieses Ignorieren regelmäßig sehr schwer, gerade wenn solche Aussagen von Menschen kommen, die ich ganz besonders schätze, denn im Grunde sind diese Aussagen zutiefst verletzend. Wenn der Begriff Homosexualität ohne Zusätze verwendet ist, ist heute normalerweise die sexuelle Orientierung gemeint, die Teil der sexuellen Identität und damit Teil der Persönlichkeit ist. Und deshalb: Wenn jemand „Homosexualität ist nicht mit der Bibel vereinbar.“ sagt, höre ich zwangsläufig: „Deine Persönlichkeit ist nicht mit der Bibel vereinbar.“ Oder kurz: „Du bist nicht mit der Bibel vereinbar.“
Solche Aussagen sind abwertend und entwürdigend, sie stellen meinen Wert als Person infrage, und ich bringe es einfach nicht fertig, sie zu ignorieren, gerade wenn sie von sehr guten Freunden kommen. Auch wenn ich weiß, dass diese Abwertung meiner Person nur fahrlässig aus Inkompetenz geschieht, werden da bei mir leider sehr unchristliche Gefühle geweckt. Ich bin regelmäßig nicht nur verletzt, sondern auch wütend und stinksauer. Um es recht drastisch auszudrücken: Meine geschundene Seele verlangt nach Vergeltung.
Wie gesagt, das sind sehr unchristliche Gefühle. Die richtige Antwort wäre Vergebung. Sie wäre nicht nur „Christenpflicht“, sie wäre auch der Situation angemessen und würde nicht zuletzt auch mir selbst gut tun. Sie hätte mir manche durch Wut und Ärger schlaflose Nacht erspart. Dass es mir trotzdem immer noch in solchen Situationen so schwer fällt zu vergeben, zeigt vor allem, wie viel ich hier noch zu lernen habe.
Ich möchte solche Sätze wie „Homosexualität ist nicht mit der Bibel vereinbar.“ nicht verharmlosen. Wer andere Menschen verletzt, weil er Werturteile zu Themen abgibt, von denen er offensichtlich keine Ahnung hat, der sündigt. Meine verletzten Gefühle allerdings haben ihre Ursache nicht in diesen Sünden, sondern in meinem Umgang damit. Wie Eleanor Roosevelt einst sagte: „Niemand kann dir, ohne deine Zustimmung, das Gefühl geben, minderwertig zu sein.“
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