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Gleichgeschlechtliche Ehe als Lebensretter?

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Anfang der Woche wurde in JAMA Pediatrics, einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift für Kinderheilkunde, eine Studie veröffentlicht, die sich mit möglichen Zusammenhängen zwischen der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen und der Suizidrate bei Jugendlichen beschäftigt.

Bis zum Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2015 waren gleichgeschlechtliche Ehen in den verschiedenen Bundesstaaten der USA sehr unterschiedlich geregelt. Insbesondere wurden gleichgeschlechtliche Ehen in verschiedenen Staaten zu unterschiedlichen Zeiten anerkannt. Dies gab den Autoren der Studie die Gelegenheit, mögliche Folgen dieser Entscheidungen zu unterschiedlichen Zeiten, aber in Bevölkerungsgruppen mit vergleichsweise geringen kulturellen Unterschieden und mit vergleichbarem Bildungssystem zu untersuchen. Dazu wurden in den Jahren von 1999 bis 2015 insgesamt 762.678 High-School-Schüler befragt.

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen einhergeht mit einer Reduzierung von Suizidversuchen von 7 % bei allen Schülern und sogar 14 % bei Schülern, die einer sexuellen Minderheit angehören. Wenn man bedenkt, dass Suizid in der untersuchten Altersklasse eine der häufigsten Todesursachen ist, sind das beeindruckende Zahlen.

Die Studie verzichtet darauf, nach ursächlichen Zusammenhängen zu suchen, und liefert erst einmal wissenschaftlich aufbereitete, statistische Zahlen. Sie zeigt eine Korrelation und keine Kausalität, und die Autoren halten aufgrund ihrer Ergebnisse weitergehende Untersuchungen für geboten, die sich mit möglichen kausalen Zusammenhängen befassen sollen.

Für mich persönlich ist es allerdings völlig plausibel, dass hier kausale Zusammenhänge bestehen. Ein Rollenmodell einer gleichgeschlechtlichen Beziehung als tatsächliche Option für mein Leben hat mir als Jugendlichem völlig gefehlt. Es ist natürlich schwer, aus 25 bis 30 Jahren Abstand zu erraten, was für mich damals hätte anders laufen können. Trotzdem kann ich mir sicher sein: Es wäre mir viel Leid, Verwirrung und auch Verzweiflung erspart geblieben, hätte ich meine sexuelle Orientierung schon als Jugendlicher erkennen und mich dazu bekennen können. Und die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen hätte mir das ohne Zweifel ermöglicht.

Die konkrete Suizidgefahr kam bei mir erst später und aus einer anderen Richtung, nämlich aus dem Konflikt meiner (mittlerweile erkannten und bekannten) sexuellen Orientierung und dem, was ich für christliche Lehre, ja für Gottes Willen gehalten habe. Aber gerade in den USA spielt der christliche Glaube in vielen Teilen des Landes eine große Rolle, und vielleicht gibt es auch gerade hier Zusammenhänge, die ursächlich für die erwähnten, statistischen Ergebnisse sind.

Es gibt ja immer noch Leute, die glauben, dass Homosexualität eine Krankheit sei, oder das gleichgeschlechtliche Beziehung den Menschen, die sie führen, körperlichen oder psychischen Schaden zufügen. Aber mit jeder Studie, mit jeder Veröffentlichung in diesem Themenkreis erweitert sich das Bild, wie die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen Menschen Schaden zufügt. Menschen werden nicht psychisch oder körperlich krank, weil sie schwul oder lesbisch sind. Menschen werden psychisch oder körperlich krank, weil ihnen ihr Umfeld, also die Gesellschaft als ganze oder im Kleinen Schaden zufügt. Weil jede Ablehnung, jede Verweigerung von Rechten, von Normalität das Selbstbild, das Selbstwertgefühl beschädigt. Wenn einem von allen Seiten die Anerkennung als vollwertiger Mensch verweigert wird, glaubt man zwangsläufig selbst, ein minderwertiger Mensch zu sein. Und ich habe hier noch nicht einmal angefangen, von echter Diskriminierung oder gar von Mobbing zu reden.

Wissenschaftliche Erkenntnis entwickelt sich langsam, und jede einzelne Studie ist immer nur ein kleiner Schritt in diesem Erkenntnisprozess. Die aktuelle Studie aus JAMA Pedriatics liefert keine Beweise, dass die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu Suiziden führt. Aber sie liefert klare Indizien, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte.

Im Bezug auf die chemischen Bestandteile in unserer Nahrung werden schon beim Verdacht einer schädlichen Wirkung strenge Grenzwerte gefordert und vielfach auch durchgesetzt. Auch wenn die gesellschaftliche Diskussion hier gelegentlich eher von Panikmache als von wissenschaftlicher Erkenntnis geprägt ist: Die Vorsicht ist berechtigt: Schon zu viele für harmlos gehaltene Substanzen haben sich im Nachhinein als hochgradig gesundheitsschädlich herausgestellt. Es bleibt nichts anderes übrig, als schon bei einem berechtigten Verdacht einer schädlichen Wirkung zu reagieren. Zu warten, bis der Schaden offensichtlich und wissenschaftlich bewiesen ist, wäre unverantwortlich.

Wie nicht nur die gerade veröffentlichte Studie zeigt: Es gibt den berechtigten Verdacht, dass die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen tatsächlich Menschenleben rettet. Ist es noch zu verantworten, hier auf klare, wissenschaftliche Beweise zu warten?

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