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Gleichgeschlechtliche Ehe als Lebensretter?

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Anfang der Woche wurde in JAMA Pediatrics, einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift für Kinderheilkunde, eine Studie veröffentlicht, die sich mit möglichen Zusammenhängen zwischen der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen und der Suizidrate bei Jugendlichen beschäftigt.

Bis zum Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2015 waren gleichgeschlechtliche Ehen in den verschiedenen Bundesstaaten der USA sehr unterschiedlich geregelt. Insbesondere wurden gleichgeschlechtliche Ehen in verschiedenen Staaten zu unterschiedlichen Zeiten anerkannt. Dies gab den Autoren der Studie die Gelegenheit, mögliche Folgen dieser Entscheidungen zu unterschiedlichen Zeiten, aber in Bevölkerungsgruppen mit vergleichsweise geringen kulturellen Unterschieden und mit vergleichbarem Bildungssystem zu untersuchen. Dazu wurden in den Jahren von 1999 bis 2015 insgesamt 762.678 High-School-Schüler befragt.

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen einhergeht mit einer Reduzierung von Suizidversuchen von 7 % bei allen Schülern und sogar 14 % bei Schülern, die einer sexuellen Minderheit angehören. Wenn man bedenkt, dass Suizid in der untersuchten Altersklasse eine der häufigsten Todesursachen ist, sind das beeindruckende Zahlen.

Die Studie verzichtet darauf, nach ursächlichen Zusammenhängen zu suchen, und liefert erst einmal wissenschaftlich aufbereitete, statistische Zahlen. Sie zeigt eine Korrelation und keine Kausalität, und die Autoren halten aufgrund ihrer Ergebnisse weitergehende Untersuchungen für geboten, die sich mit möglichen kausalen Zusammenhängen befassen sollen.

Für mich persönlich ist es allerdings völlig plausibel, dass hier kausale Zusammenhänge bestehen. Ein Rollenmodell einer gleichgeschlechtlichen Beziehung als tatsächliche Option für mein Leben hat mir als Jugendlichem völlig gefehlt. Es ist natürlich schwer, aus 25 bis 30 Jahren Abstand zu erraten, was für mich damals hätte anders laufen können. Trotzdem kann ich mir sicher sein: Es wäre mir viel Leid, Verwirrung und auch Verzweiflung erspart geblieben, hätte ich meine sexuelle Orientierung schon als Jugendlicher erkennen und mich dazu bekennen können. Und die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen hätte mir das ohne Zweifel ermöglicht.

Die konkrete Suizidgefahr kam bei mir erst später und aus einer anderen Richtung, nämlich aus dem Konflikt meiner (mittlerweile erkannten und bekannten) sexuellen Orientierung und dem, was ich für christliche Lehre, ja für Gottes Willen gehalten habe. Aber gerade in den USA spielt der christliche Glaube in vielen Teilen des Landes eine große Rolle, und vielleicht gibt es auch gerade hier Zusammenhänge, die ursächlich für die erwähnten, statistischen Ergebnisse sind.

Es gibt ja immer noch Leute, die glauben, dass Homosexualität eine Krankheit sei, oder das gleichgeschlechtliche Beziehung den Menschen, die sie führen, körperlichen oder psychischen Schaden zufügen. Aber mit jeder Studie, mit jeder Veröffentlichung in diesem Themenkreis erweitert sich das Bild, wie die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen Menschen Schaden zufügt. Menschen werden nicht psychisch oder körperlich krank, weil sie schwul oder lesbisch sind. Menschen werden psychisch oder körperlich krank, weil ihnen ihr Umfeld, also die Gesellschaft als ganze oder im Kleinen Schaden zufügt. Weil jede Ablehnung, jede Verweigerung von Rechten, von Normalität das Selbstbild, das Selbstwertgefühl beschädigt. Wenn einem von allen Seiten die Anerkennung als vollwertiger Mensch verweigert wird, glaubt man zwangsläufig selbst, ein minderwertiger Mensch zu sein. Und ich habe hier noch nicht einmal angefangen, von echter Diskriminierung oder gar von Mobbing zu reden.

Wissenschaftliche Erkenntnis entwickelt sich langsam, und jede einzelne Studie ist immer nur ein kleiner Schritt in diesem Erkenntnisprozess. Die aktuelle Studie aus JAMA Pedriatics liefert keine Beweise, dass die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu Suiziden führt. Aber sie liefert klare Indizien, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte.

Im Bezug auf die chemischen Bestandteile in unserer Nahrung werden schon beim Verdacht einer schädlichen Wirkung strenge Grenzwerte gefordert und vielfach auch durchgesetzt. Auch wenn die gesellschaftliche Diskussion hier gelegentlich eher von Panikmache als von wissenschaftlicher Erkenntnis geprägt ist: Die Vorsicht ist berechtigt: Schon zu viele für harmlos gehaltene Substanzen haben sich im Nachhinein als hochgradig gesundheitsschädlich herausgestellt. Es bleibt nichts anderes übrig, als schon bei einem berechtigten Verdacht einer schädlichen Wirkung zu reagieren. Zu warten, bis der Schaden offensichtlich und wissenschaftlich bewiesen ist, wäre unverantwortlich.

Wie nicht nur die gerade veröffentlichte Studie zeigt: Es gibt den berechtigten Verdacht, dass die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen tatsächlich Menschenleben rettet. Ist es noch zu verantworten, hier auf klare, wissenschaftliche Beweise zu warten?

Beweislast

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Vor Gericht und auf hoher See, so sagt der Volksmund, ist man in Gottes Hand. Im ersten Fall gilt das besonders, wenn Aussage gegen Aussage steht. Da kann es für das Urteil entscheidend sein, welche der beiden Parteien die Beweislast trägt, d. h. welche Seite ihre Version beweisen muss, um zu einem günstigen Urteil zu kommen.

In den letzten drei Einträgen habe ich mich mit dem biblischen Ehebild beschäftigt. Um meine Ergebnisse kurz zusammenzufassen: Ja, es gibt in der Bibel ein unterschiedliches Rollenverständnis von Mann und Frau, und nein, dieses Rollenverständnis wird nicht als essenzieller Bestandteil der Ehe gelehrt, sondern ist vielmehr Spiegel der damaligen, gesellschaftlichen Verhältnisse. Ist das nun gut oder schlecht für die biblische Sicht gleichgeschlechtlicher Ehen? Das hängt nicht zuletzt von der Beweislast ab.

Die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe stellen ihre Position ja häufig als eine biblische Selbstverständlichkeit dar und tun so, als ob es Unmengen von Bibelstellen gäbe, die ihre Position stützen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich in diesem Blog mit angeblich heteronormativen Bibelstellen auseinandergesetzt habe. Bisher ist noch jede dieser angeblich so offensichtlichen Bibelauslegungen bei genauerem Hinsehen in sich zusammengebrochen, hat sich als exegetische Luftblase herausgestellt. Auf fehlerhaft ausgelegten Bibelstellen lässt sich niemals eine theologische Aussage gründen, und seien es auch noch so viele.

Trotzdem verfehlt die Anzahl nicht ihre Wirkung: Aus dutzenden halb verstandenen Bibelstellen erhebt sich die gefühlte theologische Wahrheit in all ihrem Glanz und ihrer Blendwirkung. Man kann, ja man muss nun gegen jede einzelne dieser Fehlauslegungen vorgehen, muss der oberflächlichen Auslegung exegetische Gründlichkeit entgegenhalten, muss Argumentationsfehler aufdecken und Voreingenommenheit entlarven. Ich möchte das in diesem Blog auch weiterhin tun. Trotzdem bleibt es eine Sisyphusarbeit.

Gegen eine gefühlte Wahrheit kommt man nicht mit Einzelargumenten an, denn selbst wenn man jedes einzelne Argument widerlegt, bleibt beim Gegner das Gefühl zurück, dass es da ja noch sooo viele andere Bibelstellen gibt. Wenn das Gefühl durch jahrzehntelanges Training fest verankert ist, haben Fakten wenig Chancen. Und zu guter Letzt kommen dann noch die drei wichtigsten christlichen Argumente: Das war schon immer so. Das war noch nie so. Da könnte ja jeder kommen. Meist noch gepaart mit der unter vielen Christen üblichen Zeitgeist-Phobie, dass alles Neue grundsätzlich schlecht und gefährlich ist.

Wieso eigentlich? Es gibt doch jede Menge Beispiele, wie Prinzipien, die in der Bibel ganz selbstverständlich sind, durch neue Erkenntnisse und Ideen als überholt gelten und durch etwas viel besseres ersetzt wurden. Aussatz beispielsweise bedeutete zu biblischen Zeiten eine massive Ausgrenzung aus der Gesellschaft, Heilung war die absolute Ausnahme. Heute können wir zwischen ansteckenden und nicht ansteckenden Krankheiten unterscheiden. Und selbst bei den ansteckenden Krankheiten wie Lepra gibt es Verfahren zum sicheren Umgang mit den Kranken und vielfach auch Heilungsmöglichkeiten. Wir verletzen das in der Bibel gelehrte Prinzip der Ausgrenzung Aussätziger und sehen das als Fortschritt.

Ein anderes Beispiel: Die biblische Antwort auf Überschuldung war die Schuldsklaverei. Im Alten Testament gibt es Vorschriften, die dieses Übel in ihren Auswirkungen mildern sollen, trotzdem wird das Prinzip der Schuldsklaverei auch in der Bibel gelehrt, mal ganz abgesehen davon, dass das im Alten Testament vorgeschriebene Erlassjahr wahrscheinlich nie wirklich umgesetzt wurde. Heute tatsächlich umgesetzte und gelebte Rechtspraxis ist die Privatinsolvenz, die nach Einhaltung der entsprechenden Auflagen eine Befreiung von der Restschuld und einen wirklichen Neuanfang ermöglicht. Hier wurde der biblische Grundgedanke vollständig von den damaligen Randbedingungen und Ausführungsbestimmungen gelöst und zu einer viel besseren, christlicheren Lösung weiterentwickelt.

Die Situation sexueller Minderheiten im christlich geprägten Teil der Welt erfährt offensichtlich eine ähnliche Entwicklung. Eine Jahrtausende alte Tradition der Ablehnung und Ausgrenzung wird durch neue Ideen und Erkenntnisse überflüssig. Schwule und Lesben lernen, ihre Beziehungen nach den gesellschaftlichen, teilweise auch nach den biblischen Maßstäben der Ehe zu führen, und die Gesellschaft lernt, diese Beziehungen auch tatsächlich als Ehen anzuerkennen, zu schützen und zu fördern. Neue medizinische Möglichkeiten helfen transgeschlechtlichen Menschen, sich in ihrer Haut wohl zu fühlen, wohingegen Intersexuelle nicht mehr medizinisch oder rechtlich auf ein Geschlecht festgelegt werden, lange bevor sich geschlechtsspezifische Persönlichkeitseigenschaften zeigen könnten.

Es ist schwer zu begreifen, wieso ein Christ sich über diese wunderbare Entwicklung nicht von Herzen freuen sollte. Unzählige Menschen erzählen davon, wie sie durch Annahme ihrer sexuellen Identität freier und glücklicher geworden sind. Die Christen unter ihnen fügen hinzu, wie sich ihre Beziehung zu Gott vertieft hat. Der Segen dieser gesellschaftlichen Entwicklung ist unübersehbar. Derweil erweisen sich die christlichen Heilsversprechen mehr und mehr als Täuschung und Lüge. Robert L. Spitzers viel fehlzitierte Studie von 2001 hat nie eine Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung in nennenswertem Umfang belegt und wurde längst vom Autor wegen methodischer Mängel zurückgezogen. Und Exodus International, die weltgrößte Organisation der Ex-Gay-Bewegung hat sich schon 2013 aufgelöst – wegen erwiesener Erfolglosigkeit und Schädlichkeit der propagierten Therapieansätze.

Es ist höchste Zeit für eine Umkehrung der Beweislast: Die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe müssen klar und überzeugend biblisch belegen, warum sie an einer Position festhalten, die viele betroffene Menschen erwiesenermaßen unglücklich und einsam werden lässt, nicht selten in seelische und körperliche Erkrankungen und gelegentlich sogar in den Selbstmord treibt. Die Faktenlage ist eindeutig. Eine theologische Position, die Menschen mit Gott und mit sich selbst versöhnt, die es diesen Menschen ermöglicht, in der Verantwortung vor Gott und im Dienst für ihn ein erfülltes Leben zu führen, braucht keine ausführliche biblische Begründung. Sie trägt ihre Begründung in sich selbst, in ihren Werken, in ihrer Wirkung. Wer theologische Positionen vertritt, die Menschen sehenden Auges in Unglück und Einsamkeit stürzen, dem darf, dem muss auch eine biblische Begründung auf höchstem fachlichen und exegetisch-handwerklichen Niveau für seine Thesen abgefordert werden. Nicht die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare muss biblisch begründet werden, sondern ihre Ablehnung.

Burka und Homo-Ehe

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Nein, ich möchte nicht die Vollverschleierung von Frauen mit gleichgeschlechtlichen Ehen vergleichen. Ich möchte vielmehr die Vollverschleierung von Frauen mit der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen vergleichen. Ich möchte heute die Parallelen aufzeigen zwischen denen, die es ablehnen, dass Frauen in der Öffentlichkeit unverschleiert sind, und denen, die es ablehnen, dass zwei Männer bzw. zwei Frauen heiraten dürfen. Da gibt es nämlich eine Menge Gemeinsamkeiten.

Es geht schon damit los, dass beides hochmoralische Positionen sind, dass beide Parteien vom moralischen hohen Ross herunter argumentieren. Wer die Vollverschleierung von Frauen propagiert, sieht sich selbst als Verteidiger, meist als einzig wahre Verteidiger der Ehre der Frauen. Er sieht in der Vollverschleierung selbstverständlich keine Herabwürdigung, vielmehr beklagt er den moralischen Verfall aller anderen, die es zulassen, dass Frauen in der Öffentlichkeit zum Objekt männlicher Begierde gemacht und damit abgewertet werden.

Genauso sehen sich die Gegner gleichgeschlechtlicher Ehen als einzig wahre Verteidiger der Institution Ehe, deren Gefährdung, Zerstörung, Abschaffung sie fürchten. Sie sehen gleichgeschlechtliche Beziehungen als vorrangiges Zeichen eines moralischen Verfalls, der längst Hand an die Grundfesten unserer Gesellschaft gelegt hat, und der zum Wohle aller unbedingt aufgehalten werden muss.

Beide bilden dabei nur eine Fraktion innerhalb ihres Glaubens, weder sind alle Muslime für Vollverschleierung noch alle Christen gegen gleichgeschlechtliche Ehen. Dabei gehören sie regelmäßig zum konservativen, mehr noch zur konservativ verbohrten Teil ihrer Religionsgemeinschaften. Sie stehen für ewige Werte und lehnen alle neuen Gedanken schon deshalb ab, weil alles Neue nicht ewig sein kann und deshalb falsch sein muss. Neue Ideen, neue Erkenntnisse sind für sie keine Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und dabei den moralischen Kompass neu und eventuell besser auszurichten. Nein, diese Gruppen halten die Ausrichtung ihres moralischen Kompasses von Alters her für richtig und sehen diese durch Neues grundsätzlich bedroht.

In beiden Fällen sind die Betroffenen selbst oft, aber nicht immer Teil der Bewegung. Viele Frauen, die Burka oder Niqab tragen, tun dies durchaus freiwillig und aus innerer Überzeugung. Genauso verzichten viele Schwule und Lesben freiwillig und aus innerer Überzeugung auf einen Partner. Und in beiden Fällen ist freiwillig ein durchaus dehnbarer, fließender Begriff. Sowohl die Vollverschleierung als auch die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen werden als Akt der Menschenfreundlichkeit, als hilfreicher Schutz in einer moralisch gefallenen und verkehrten Welt propagiert. Und es ist nur natürlich, dass die Betroffenen selbst, die vielleicht mit einer solchen Argumentation aufgewachsen sind, sich diese zu eigen machen. Das macht diese Ideen noch lange nicht richtig. Die Zustimmung der Unterdrückten macht eine Unterdrückung nicht ungeschehen. Sie macht sie noch schlimmer.

Denn egal mit welchen Argumenten beide Gruppen für ihre Position werben: In beiden Fällen werden Menschen herabgewürdigt und in ihrer Würde verletzt. Sowohl bei der Ablehnung unverschleierter Frauen als auch bei der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehung ist der angebliche Schutz nur ein Vorwand, die Menschenfreundlichkeit nur Fassade. Beide sehen den eigenen moralischen Verfall nur im anderen. Die patriarchalische Gesellschaft der arabischen Welt wirft den Schleier nicht zum Schutz über die Frauen, sie versucht damit die Verkommenheit der Männer zu verschleiern. Und das christliche, heteronorme Abendland sieht in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Pochen auf das „heilige Recht auf sexuelle Befriedigung“ und offenbart damit mehr über ihre eigenen, verdrängten Begierden als über die Realität gleichgeschlechtlicher Beziehungen.

Das moralische hohe Ross ist traditionell der Platz für alle, die mit ihrer eigenen inneren Zerrissenheit nicht zurecht kommen, und ihr Heil in der Verurteilung anderer sehen. Die unverschleierte Frau ist nur eine Bedrohung für den Mann, der seine sexuellen Begierden nicht unter Kontrolle hat. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist nur eine Bedrohung für den Menschen, der längst nicht mehr an die Kraft von Liebe und Treue glaubt und den eigenen moralischen Verfall durch ein Korsett aus Tradition aufhalten will. Die verschleierte Frau und der enthaltsame Homosexuelle sollen retten, was an ganz anderer Stelle zerstört wurde.

Es gibt natürlich für uns im christlichen Abendland auch einen wichtigen Unterschied: Die Ablehnung von Schwulen und Lesben ist Teil unserer Tradition, die Verschleierung von Frauen nicht. Der irische Schriftsteller Oscar Wilde wurde im Jahr 1895 wegen homosexueller Unzucht zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt. Von den gesundheitlichen Folgen dieser Bestrafung hat er sich nicht mehr erholt und starb 1900 im Alter von nur 46 Jahren. In der Türkei wäre ihm das, zumindest damals, nicht passiert. Dort wurde die Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen schon 1852 abgeschafft, in Deutschland hat man sich bis zur endgültigen Abschaffung des § 175 bis ins Jahr 1994 Zeit gelassen.

Der Kampf gegen die Vollverschleierung, wie er von konservativ-christlicher Seite geführt wird, ist kein Kampf gegen die Unterdrückung und für die Rechte von Menschen, er ist ein Kampf gegen das Neue und Fremde und für die Tradition. Der Seitenblick auf den von denselben Menschen geführten Kampf gegen die Ehe für alle macht das mehr als deutlich.

Frömmigkeit

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Der Sabbat wurde für den Menschen geschaffen und nicht der Mensch für den Sabbat.

Das sagte Jesus zu den Pharisäern und zeigt damit eine wichtige Eigenschaft christlicher Ethik, die weit über das Sabbat-Gebot hinaus gilt. Über die Einhaltung des Feiertags wird ja heute relativ wenig diskutiert, die Streitpunkte liegen woanders.

Letzte Woche ging es hier unter anderem darum, dass Gottes Willen aus der Schöpfung erkennbar ist. Das hat zumindest da Auswirkungen, wo sich christliche Ethik und Morallehre mit eher weltlichen Themen beschäftig. Christen haben also kein durch die Bibel vermitteltes Exklusivwissen, dass der restlichen Welt fehlt. Christen haben höchstens ein tieferes, im Detail genaueres Verständnis einer Morallehre, die sie grundsätzlich mit allen moralisch hoch stehenden Menschen und Kulturen teilen. Die Vergeistigung und Verabsolutierung moralischer Vorstellungen, wie sie sich in den pharisäischen Sabbatvorschriften zur Zeit Jesu zeigt, ist also unbiblisch und unchristlich.

Was ich damit meine, lässt sich schön an der gewandelten Bedeutung des alten Wortes fromm erkennen. Es bedeutete früher nützlich und tüchtig, im erweiterten Sinne auch rechtschaffen. Im 16. Jahrhundert war es unter anderem als Lobeswort für brave und brauchbare Haustiere durchaus gebräuchlich.

Nun ist auch der rechte Christ in diesem Sinne fromm, weil er tüchtig und rechtschaffen das Werk des Herrn tut und damit für Gott und die Menschen nützlich ist. Ab hier hat sich die Bedeutung allerdings verselbständigt: Fromm ist nicht mehr, wer gut und rechtschaffen handelt, sondern wer sich allein auf Gott als Quelle der Rechtschaffenheit konzentriert. Aus einer Hinwendung zu Gott und den Menschen, die Nutzen zu schaffen versucht, wurde zunächst eine reine Hinwendung zu Gott, der der Nutzen egal ist, und schließlich eine Gottbezogenheit, die mit einer Abkapselung von der Welt und einer durchaus beabsichtigten Nutzlosigkeit für diese einher geht. Wer heute fromm sein will, schottet sich von der Welt ab, wird also gewissermaßen weltfremd, und das mit voller Absicht – das ist so ziemlich das Gegenteil der ursprünglichen Wortbedeutung.

Wenn wir nicht aufpassen, geht es uns mit christlicher Ethik genauso. Aus einer Vorschrift, die das Wohl des Menschen zum Ziel hatte, wird ein göttliches Prinzip, das unabhängig vom Menschen gilt, und schließlich ein starres Schema, in das der Mensch gepresst werden muss, um ihn zu formen, um aus ihm etwas zu machen, das er nicht ist. Die Ethik dient nicht mehr dem Menschen, der Mensch dient der Ethik.

Nirgends zeigt sich das zurzeit deutlicher als an der christlichen Sexualethik. Die Ehe ist nicht mehr ein hilfreicher Rahmen, der den Menschen dient und das Glück in Beziehungen fördert, sie ist göttliches Schöpfungsprinzip, in das sich der Mensch einzufügen hat. Dass die Apologeten dieser transzendenten Schöpfungsordnung ein Ehe- und Familienverständnis propagieren, das mit dem Verständnis zu biblischen Zeiten wenig zu tun hat, sei nur am Rande erwähnt. Trotzdem ist jeder Zweifel an diesem Ehemodell für diese Christen pure Ketzerei.

Gleiches geschieht mit der biblischen Unterscheidung von Mann und Frau. Sie verliert ihre Bedeutung als Orientierung, die uns hilft, uns selbst und unseren Platz in der Welt zu finden, und wird zum heteronormativen Schema, in das alle Menschen zwangsweise gepresst werden müssen.

Es ist an der Zeit, dass sich die Frommen auf die alte Bedeutung von Frömmigkeit besinnen, dass sie danach sinnen, was Menschen wirklich nützt, was ihnen frommt. Christliche Ethik und Morallehre ist natürlich keine reine Nützlichkeitserwägung, aber ohne die Nützlichkeitserwägung hört sie auf, christlich zu sein. Und wenn es um die Ehe, vor allem wenn es um gleichgeschlechtliche Ehen geht, muss an erster Stelle stehen, dass die Ehe für den Menschen geschaffen wurde und nicht der Mensch für die Ehe.

Ein Hoch auf Baden!

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Und wenn ich als gebürtiger Württemberger das sage, will das etwas heißen. Während meine frühere geistliche Heimat, die Evangelische Landeskirche in Württemberg, noch stark von den Bildungsgegnern, Verzeihung, Bildungsplangegnern beeinflusst wird, hat nebenan die Evangelische Landeskirche in Baden Fakten geschaffen. Richtige und biblisch wohlbegründete Fakten. Nämlich die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften inklusive vollwertiger kirchlicher Trauung.

Was mich ebenso sehr freut wie die Tatsache an sich, ist die solide biblische Begründung durch Oberkirchenrat Dr. Matthias Kreplin, denn er schreibt: „Unser Urteilen und Handeln in der Kirche hat sich an der Heiligen Schrift zu orientieren.“

Ich habe versucht, hier noch die Grundzüge von Kreplins Begründung einzufügen, aber ein paar aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate geben einfach nicht die Stringenz in Kreplins Argumentation wider. Es lohnt sich unbedingt, die Ausführung von Kreplin und von Prälatin Dagmar Zobel als Ganzes zu lesen.

Von den zwanzig Landeskirchen der EKD ist Baden nun Nummer vier. Weitere werden folgen. Bei den Freikirchen ist die Situation unübersichtlicher, aber auch hier ist die Tendenz spürbar, neu und gründlich über die Frage der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare nachzudenken. Und die Frage darf natürlich gestellt werden, wer hier auf der richtigen Seite der (Kirchen-) Geschichte steht.

In der Theorie spielt die geschichtliche Entwicklung natürlich keine Rolle, weil, wie Kreplin richtig schreibt, wir uns an der Heiligen Schrift zu orientieren haben. Und wer das Dokument von Prälatin Zobel und Oberkirchenrat Kreplin liest, wird ihnen kaum willfährige Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen und politischen Opportunismus vorwerfen können. Aber in der Praxis brauchen wir oft – leider – gesellschaftliche Entwicklungen als Grundlage, um die Bibel in einem neuen, besseren Licht zu sehen.

Auf Facebook wird die Entscheidung der Badischen Landeskirche natürlich heftig diskutiert. Auf den Einwand, wie ein Jahrtausende währender Konsens innerhalb der Weltchristenheit von einem Synodenbeschluss vom Tisch gewischt werden könne, kommt vom Facebook-Account der Landeskirche die Antwort:

Es gab in der Geschichte schon viele Konsense, die irgendwann aufgekündigt wurde: Sklavenhaltung, Schlagen von Kindern als Erziehungsmethode, kein Verkündigungsrecht für Frauen, das Tragen von Hosen usw – Der Geist Gottes, der seit den Zeiten des Apostelkonzils Eintracht auch in Verschiedenheit schafft, wird das sicher auch hier schaffen.

Die Synode der Evangelischen Landeskirche in Baden hat die Zeichen der Zeit nicht nur erkannt, sondern auch gründlich geprüft. Und sie hat einen Beschluss gefasst, der nicht nur biblisch gerechtfertigt sondern auch seelsorgerlich notwendig ist. Er ist ein weiterer Schritt der Anerkennung schwuler, lesbischer, bi- und transsexueller Gläubiger als vollwertige Christen, als vollwertige Menschen.

Viele Menschen haben hart gearbeitet, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Als jemand, der erst seit Kurzem beginnt, sich aktiv für diese Ziele einzusetzen, möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die durch ihre unermüdliche Arbeit über viele Jahre hinweg dazu beigetragen haben. Und ich entbiete Euch meinen Respekt, freue mich mit Euch und singe mit Bob Dylans Worten: The times they are a-changin‘