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Allgemeine Lage

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Wie die Zeit vergeht: Über ein Jahr ist mein letzter Eintrag auf dieser Seite alt. Höchste Zeit, mal wieder etwas „Content“ zu produzieren, zumal sich bei mir ein paar Themen angesammelt haben, über die ich gerne schreiben würde. Zum Wiedereinstieg gibt’s ein paar Worte zur Lage der Nation, will sagen, zur aktuellen Nachrichtenlage der queeren Christenheit.

Das Nachrichtenportal queer.de listet in der Rubrik „Glaube“ für dieses Jahr bereits 20 Artikel auf. Die meisten davon beschäftigen sich mit der Katholischen Kirche und ihren mehr oder weniger würdigen Würdenträgern. Das ist nicht weiter verwunderlich: Die schlimmsten homophoben Wortmeldungen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit kommen häufig von römisch-katholischen Bischöfen, aber auch der Meinungskampf zum Thema Homosexualität wird in kaum einer Organisation so offen und so öffentlich geführt wie unter den Katholiken. Der Weg zu einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erscheint mir noch sehr weit, aber er wird mittlerweile von katholischen Bischöfen und Theologen aktiv beschritten. Und der Versuch, den katholischen Theologen Ansgar Wucherpfennig wegen eben dieser Haltung aus dem Amt zu entfernen, ist bekanntlich gescheitert.

Als durchaus überzeugter nicht-Katholik beobachte ich die Lage als Außenstehender. Viel näher trifft mich die Situation in der evangelisch-freikirchlichen Welt, zu der queer.de in den letzten zwei Monaten auch bereits vier verschiedene Meldungen herausgebracht hat. Am Anfang dieser Woche entschied sich die Generalkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche mit knapper Mehrheit, die bisherige, ablehnende Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichen beizubehalten und zusätzlich anders denkenden Pastoren und Gemeinden mit Sanktionen bis hin zum Ausschluss zu drohen. Das Entsetzen gerade unter den europäischen Methodisten scheint groß zu sein. Von einem ungewissen Weg in die Zukunft, ja von Spaltung der Evangelisch-methodistischen Kirche ist die Rede.

Auch vom Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland gibt es eine neue „Orientierungshilfe“ zum Thema Homosexualität, die Ende letzten Jahres erschienen ist und im Februar in vielen Medien diskutiert wurde. Der evangelische Pfarrer und Theologe Dr. Wolfgang Schürger sieht bei Kreuz & queer einen Schritt in die richtige Richtung und zieht ein überwiegend positives Fazit. Das mit dem Schritt in die richtige Richtung kann ich nachvollziehen, das positive Fazit nicht. Das alte Papier des FeG-Bundes von 2004 enthält ein paar recht offensichtliche Lügen, die sich für mich teilweise am Rand der Verleumdung bewegten. Das neue Dokument ist wesentlich sorgfältiger formuliert, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Die neuen Formulierungen ändern nichts daran, dass die vertretenen Thesen krank machend sind und Menschen schweren Schaden zufügen können. Gerade weil allzu offensichtliche Lügen durch plausibel klingende Un- und Halbwahrheiten ersetzt wurden, ist das Dokument schwerer angreifbar und widerlegbar. Ich fürchte, deshalb werden die Inhalte auch von wohlmeinenden Christen eher geglaubt und können damit in der Praxis auch mehr Schaden anrichten.

Mein Eindruck ist allerdings, dass sich das Dokument aber gar nicht so sehr an LGBTQ+-Christen, sondern an anders denkende Pastoren und Gemeindeleitungen richtet. Im Gegensatz zu den Methodisten kann der Bund Freier evangelischer Gemeinden nicht so einfach seine Position nach unten durchregieren, weil die Strukturen andere sind. Dass die Bundesleitung glaubt, ihre Position so wortreich vertreten zu müssen, zeigt schon, dass sie längst nicht mehr von allen Freien evangelischen Gemeinden geteilt wird.

Ich denke da an eine Predigt von Pastor Lars Linder aus der FeG Essen Mitte vom November 2017, die mir sehr nahe gegangen ist. Ich möchte einen Gedanken aus dieser Predigt aufgreifen:

Kirche hat fasziniert, weil sie mit Menschen – die verachtet, stigmatisiert, an den Rand geschoben waren – umgegangen ist in einer Art und Weise, die einzigartig war. (…) Deshalb war Kirche in den ersten Jahrhunderten missionarisch, einladend. Eine Haltung, die Gemeinde Jesu immer wieder neu erkämpfen und erleben lernen muss.

Es geht heute nicht mehr nur darum, ob eine Randgruppe auch ihren Platz am Tisch des Herrn haben darf – auch wenn das allein schon wichtig genug ist. Es geht mittlerweile um deutlich mehr. Es geht um die gesellschaftliche Relevanz, um die ethische Glaubwürdigkeit, um die missionarische Wirksamkeit der christlichen Verkündigung. Wer Schwule und Lesben ins Abseits stellt, stellt sich damit – völlig zurecht – ins gesellschaftliche Abseits und disqualifiziert sich als ethisch-moralische Instanz. Als Beleg seien zwei Zitate aus den Kommentaren bei queer.de angeführt. Zu der Entscheidung bei den Methodisten kommentiert Ralph:

Diese Banden sagen, schwul sein ist unvereinbar mit dem Christentum. Ich aber sage: Das Christentum ist unvereinbar mit Anstand und Vernunft, mit Menschenwürde und Grundrechten, mit Freiheit und Vielfalt.

Und zur „Orientierungshilfe des FeG-Bundes“ schreibt NeverEnding:

Es gibt immer wieder Leute, die meinen, es besser wissen zu wollen. Die keine Fakten kennen und nur ihre eigene Lebenswelt wettschätzen. Die übrigens keine Nächstenliebe umsetzen können.

Die Leser von queer.de sind kein repräsentativer Schnitt durch die Gesellschaft, aber die in diesen Kommentaren vertretene Ansicht ist auch jenseits der queeren Weilt weit verbreitet.

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:

Niemandem geben wir auch nur den geringsten Anstoß, damit unser Dienst nicht verhöhnt werden kann.

Zu viele Christen sehen es leider immer noch als Gütesiegel ihres Glaubens, wenn sie in der Zivilgesellschaft Anstoß erregen. Und zu viele andere Christen spielen dieses Spiel mit, nehmen um des lieben Friedens willen in Kauf, sich in weiten Teilen der Gesellschaft als moralische Instanz zu disqualifizieren. Lieber ein schlechtes Beispiel in Frieden als ein gutes Beispiel im Streit. Ich kann das absolut nachfühlen, aber das macht es nicht besser.

Ich habe den allergrößten Respekt vor den Pionieren der queeren Christenheit, vor einem Günter Baum, einer Valeria Hinck und den vielen anderen, die unter schwierigsten Bedingungen für Toleranz gekämpft haben, als Akzeptanz noch in unerreichbarer Ferne schien. Die Zeiten haben sich – Gott sei Dank – geändert, und ich glaube, es ist an der Zeit, dass die „Verbündeten“, die cis-hetero-Christen sichtbar und laut in diesen Kampf mit einsteigen, ihn vielleicht sogar übernehmen. Denn wenn die Situation der LGBTQ+-Christen so endet, wie in der Zeichnung des nakedpastor David Hayward, ist das nicht nur zum Schaden dieser Menschen, es ist zum Schaden des ganzen Leibes Christi.

Magengrimmen

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In den letzten eineinhalb Wochen tourte die sogenannte Demo für alle mit einem Bus durch Deutschland, am Freitag wurde als letzter Stopp Berlin angefahren. Die Initiatoren kämpfen mit diesem Bus gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen, gegen trans*-Rechte und gegen vernünftige Schulaufklärung. Queer.de bezeichnet den Bus als Hass-Bus. Ich weiß nicht, ob diese Bezeichnung wirklich zutreffend ist. Ich glaube nicht, dass Hass die wesentliche Motivation der Demo für alle ist, ich kann mir sogar vorstellen, dass sie tatsächlich glauben, aus bester Absicht zu handeln. Aber sie verbreiten eine Botschaft der Ausgrenzung und Herabwürdigung gegen alle, die nicht ihrem heteronormativen Schema entsprechen. Und diese Botschaft wird, wo sie auf fruchtbaren Boden fällt, Hass verstärken und Hass legitimieren.

Zum Glück fällt sie nicht auf sonderlich fruchtbaren Boden. In jeder einzelnen Stadt war die Gruppe der Gegendemonstranten um ein Vielfaches größer als das kleine Häuflein an Mitarbeitern und Interessenten. Was mir persönlich Sorgen macht, ist nicht die Größe dieses fruchtbaren Bodens, sondern dessen Nähe zu mir. Die Demo for alle argumentiert mit angeblich biblischen Wahrheiten und angeblich christlichen Werten, und ich sehe, wie Christen in meinem Umfeld diesen Unsinn glauben, und manchmal leider auch die Lügen und Verleumdungen, die oft damit verbunden sind.

Davon, was das bei mir auslöst, habe ich vor ein paar Wochen schon geschrieben. Seither ist das Thema deutlich näher an mich herangekommen. Eine Hauskreisteilnehmerin hat eine zutiefst homophobe und verleumderische Petition zur Zeichnung empfohlen, die aus demselben Umfeld wie dieser Bus kommt. Und am vergangenen Sonntag wählte der Prediger die Ehe für alle als Beispiel für den allgemeinen Abfall vom Glauben in der Endzeit und als Vorzeichen für den heraufziehenden Antichristen. Ich schrieb Anfang Juli, dass ich Angst hätte vor LGBT-feindlichen Äußerungen im Gottesdienst. Seit letzten Sonntag weiß ich, dass die Angst berechtigt war.

Ich habe mir in diesem Moment ernsthaft überlegt, den Gottesdienst zu verlassen. Ich hab’s nicht getan. Bei der Entscheidung zu bleiben war sicher auch eine gute Portion Feigheit mit im Spiel. Aber entscheidend war der Gedanke, dass ich als geoutetes, schwules Mitglied meiner Gemeinde nicht vor derartigen Botschaften fliehen, mich nicht verstecken muss. Als schwuler Christ darf ich, ja soll ich erhobenen Hauptes dafür stehen, dass Gott mich absichtsvoll so geschaffen hat, und das er mich liebt, wie ich bin, egal wie andere darüber denken. Das Problem ist: Ich stehe diese Haltung nicht auf Dauer durch.

Ich denke, ich habe damit gerechnet, dass derart LGBT-feindliche Positionen in meiner Gemeinde ohne öffentlichen Widerspruch geäußert werden dürfen. Dass es dann tatsächlich so gekommen ist, hat mich trotzdem tief getroffen. Die Angst hat sich verstärkt und mir auf den Magen geschlagen. Aus dem metaphorischen Magengrimmen ist mittlerweile ein tatsächliches, physisches geworden, und ich muss mir allmählich überlegen, ob ich daraus nicht Konsequenzen ziehen muss.

Die übliche Empfehlung in so einer Frage wäre vermutlich, der Gemeinde den Rücken zuzukehren. Ich habe schon oft den Rat gehört, auf Abstand zu denen zu gehen, die einen nicht akzeptieren können, wie man ist, weil es genügend Leute gibt, die damit kein Problem haben. Dummerweise enthält die Gemeinde für mich beides: Ein paar meiner besten Freunde und Unterstützer sind Gemeindemitglieder, und gerade die Zusammenarbeit und das gemeinsame Leben in der Gemeinde mit diesen Menschen bedeutet mir sehr viel.

Wir haben zusammen viel Zeit und Arbeit in unseren Dienst in der Gemeinde gesteckt und gemeinsam etwas aufgebaut, was der Gemeinde gut tut und wichtig für sie ist. Wenn ich nicht mehr in den Gottesdienst gehe, wird dadurch vermutlich ein erheblicher Teil davon zerstört. Aber wenn ich weiter in den Gottesdienst gehe, muss ich auch weiter mit dieser Angst leben und gefährde womöglich dadurch auf Dauer meine Gesundheit.

Ich wünschte, ich könnte das einfach so wegstecken, haters gonna hate, so ist das nun mal. Bis das passiert, muss ich irgendwie mit der Situation umgehen, aber wie ich das tun soll, da bin ich im Moment ziemlich ratlos.