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Textkritik

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Im Nachgang zur Bundestagsentscheidung für die Ehe für alle hat sich auch Ulrich Parzany zu Wort gemeldet und über das Netzwerk Bibel und Bekenntnis eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie endet in einer sogenannten Kanzelerklärung. Parzany empfiehlt, diese so oder in ähnlicher Form „in Gottesdiensten oder anderen Gemeindeversammlungen abzugeben.“ Theologische Inhalte sucht man in dieser Erklärung vergeblich. Ich denke, aus der übrigen Stellungnahme lässt sich ableiten, dass es auch nicht der Zweck dieser Erklärung ist, die Position Parzanys theologisch oder exegetisch zu begründen. Ich möchte stattdessen versuchen, anhand dieses Beispiels die sprachlichen Mittel herauszuarbeiten, mit denen die Gegner der Ehe für alle häufig arbeiten, und gehe dazu Satz für Satz vor.

Aus aktuellem Anlass möchte ich als Pfarrer / Prediger dieser Gemeinde / Gemeinschaft, der für die Bewahrung der christlichen Lehre verantwortlich ist, etwas klarstellen.

Parzany formuliert aus der ich-Perspektive desjenigen, der seine Erklärung verliest. Obwohl er die genaue Formulierung nur als Vorschlag gewertet sehen möchte, schreibt er sie bewusst so, dass sie in verschiedenen Gemeinden und Gemeinschaften wörtlich vorgelesen werden kann. Dabei wird sie dann aber nicht als Stellungnahme Parzanys sondern als Stellungnahme des Vorlesenden verstanden. Parzany bedient sich also zur Verbreitung seiner Position der geliehenen Autorität des Pfarrers bzw. Predigers vor Ort.

Während in der Überschrift und den einleitenden Worten noch von einer Erklärung die Rede ist, spricht der eigentliche Text nun von einer Klarstellung. Es geht also weder um eine Erklärung im Sinne einer Begründung, noch im Sinne einer Deklaration. Klarstellen kann man nur etwas, über das man selbst offensichtlich zweifelsfreies Wissen hat und die anderen nicht. Parzany will mit seiner Erklärung nicht etwa die Diskussion um gleichgeschlechtliche Beziehungen voranbringen, er will sie durch seine bzw. die geliehene Autorität ersticken.

Der Deutsche Bundestag hat entschieden, dass auch homosexuelle Paare die Ehe schließen können.

Das hat er natürlich nicht. Er hat beschlossen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare die Ehe schließen können. Es sollte jedem, der sich mit diesem Thema beschäftigt, klar sein, dass nicht alle Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung sind, automatisch homosexuell sind. Und es soll auch vorkommen, dass homosexuelle Menschen eine Ehe mit einem Partner des anderen Geschlechts eingehen. Das Eherecht kümmern sich auch nicht um die sexuelle Orientierung, sondern ausschließlich um die Geschlechtszugehörigkeit der Ehepartner.

Das mag ein harmloser Fehler sein, wenn er nicht bei Parzany und vielen anderen auf einem übersexualisierten Verständnis gleichgeschlechtlicher Beziehungen beruhen würde. Aus seinen übrigen Ausführungen wird deutlich, dass er Homosexualität überwiegend als Synonym für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sieht und damit nicht nur den Themenkomplex der sexuellen Orientierung weitgehend ignoriert, sondern auch die lebenslange, auf gegenseitige Treue ausgelegte Lebensgemeinschaft zweier gleichgeschlechtlicher Menschen nur aus der sexuellen Perspektive wahrzunehmen vermag.

Dieser Beschluss widerspricht dem biblischen Verständnis der Ehe, die nach Gottes Willen und Stiftung eine Verbindung zwischen Mann und Frau ist.

Die nächste geliehene Autorität: Parzany nimmt für sich in Anspruch, das biblische Verständnis der Ehe zu vertreten und spart sich die Begründung. Das wäre in Ordnung, wenn es in dem Text um eine Positionsbestimmung Parzanys selbst ginge. Als Klarstellung im Sinne der einleitenden Worte stellt dieser Satz eine Anmaßung dar, die jede Fehlbarkeit des Autors bzw. des Vorlesenden im Bezug auf sein Bibelverständnis ausschließt.

Die Paarung zwischen Mann und Mann und Frau und Frau widerspricht dem Willen Gottes.

Man kann dem Autor hier eventuell noch zugutehalten, dass er Paarung im Sinne von ein Paar bilden gebraucht. Die Primärbedeutung des Wortes Paarung ist aber ohne Zweifel die Begattung bei Tieren. Es ist nicht anzunehmen, dass einem erfahrenen Redner wie Parzany diese Doppeldeutigkeit versehentlich unterlaufen ist. Parzany gelingt es durch geschickte Wortwahl, gleichgeschlechtliche Beziehungen gefühlsmäßig auf das Niveau tierischer Triebbefriedigung zu stellen, ohne dies offen auszusprechen. Er betreibt damit die Entmenschlichung homosexueller Menschen. Selbst wenn ihm das doch unbewusst unterlaufen sein sollte, macht es die Sache an sich nicht besser.

Sie führt zum Ausschluss aus dem Reich Gottes, erklärt der Apostel Paulus (1.Korinther 6,9f).

Ich möchte hier gar nicht näher darauf eingehen, dass eine einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstelle kaum ausreichen dürfte, anderen Menschen das Christsein abzusprechen. Es ist allerdings sehr bezeichnend, dass Parzany hier mit dem Ausschluss aus dem Reich Gottes eine äußerst unpersönliche Formulierung für einen äußerst dramatischen Vorgang wählt. Parzany wäre vermutlich der letzte, der behaupten würde, dass es beim Christsein nur um eine Mitgliedschaft und nicht um eine persönliche Beziehung zu Gott gehen würde.

Die meisten homosexuellen Christen kennen die tiefe, innere Auseinandersetzung, wie sich gängige theologische Positionen mit der Liebe Jesu vereinbaren lassen. Das Versagen der Gegner gleichgeschlechtlicher Beziehungen, hierauf eine halbwegs brauchbare, seelsorgerliche Antwort zu finden, spricht eine ebenso deutliche Sprache wie die geistliche Kraft, die von vielen homosexuellen Christen ausgeht, die in dieser Frage eine positive Antwort und einen liebenden Gott gefunden haben. Parzany wischt diese Fragen durch die Wahl einer möglichst unpersönlichen Formulierung zur Seite. Möglicherweise ist dies ein weiteres Zeichen für die Entmenschlichung Homosexueller im Denken Ulrich Parzanys.

Deshalb ist das neue Eheverständnis für unseren Glauben, unser Lehren und Handeln als christliche Gemeinde ungültig und nicht maßgebend.

Es ist ein beliebter rhetorischer Trick, die eigentliche Streitfrage als (im eigenen Sinne) geklärt darzustellen, um den Streit auf ein Nebenthema zu verschieben. Es geht bei der Ehe für alle aus christlicher Sicht nicht darum, ob ein eventuelles, neues Eheverständnis für die Gemeinde maßgebend ist, sondern darum, ob die Ehe für alle überhaupt ein neues Eheverständnis beinhaltet. Sie öffnet die äußerst wichtige Institution Ehe einer Gruppe von Menschen, die bisher davon ausgeschlossen waren. Ob sich dadurch die Institution Ehe an sich ändert, ist die Kernfrage der ganzen Diskussion, und die Befürworter der Ehe für alle sehen darin gerade kein neues Eheverständnis.

Durch die selbstverständliche Voraussetzung, dass hier ein neues Eheverständnis propagiert wird, verschiebt Parzany die Fragestellung von ihrem Kern weg hin zu einem Argumentationsschema, das vielen Christen vertraut ist: Wir bewahren die Lehre gegen den bösen Zeitgeist.

Gerne kann ich Ihnen dazu im persönlichen Gespräch Näheres mitteilen.

In all den Jahren meines Christseins ist mir kaum ein heterosexueller Christ begegnet, der ein brauchbares Verständnis von Homosexualität hatte. Selbst wenn ich mich ratsuchend an andere Christen gewandt hatte, war doch meistens ich derjenige, der dem Anderen etwas erklärt. Ich darf daran erinnern, dass die ich-Form in diesem Satz sich nicht auf Parzany sondern auf den vortragenden Pfarrer oder Prediger bezieht, der in den meisten Fällen keine besondere Erfahrung und keine besonderen Kompetenzen im Themenfeld Homosexualität besitzt. Sonst würde er ja nicht auf die vorformulierte Erklärung Parzanys zurückgreifen. Das einzige, was den Redner für ein solches persönliches Gespräch qualifiziert, ist wohl, dass er kritiklos Parzanys Meinung vertritt.

In Summe handelt es sich bei Parzanys Kanzelerklärung um ein Dokument der Ausgrenzung. Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden entmenschlicht und geistlich ausgeschlossen. Sie tauchen bei Parzany nicht mehr als erlösungsbedürftige und erlösungswerte, von Gott geliebte Menschen auf, sondern nur noch als Feinde biblischer Lehren, als von Gott Verstoßene, als tierischen Trieben Verfallene. Der brillante Redner Parzany verpackt dies geschickt in Worte, denen man diese üble Botschaft nicht auf den ersten Blick ansieht. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ausgerechnet der langjährige, erfolgreiche Evangelist Ulrich Parzany mittlerweile einen erheblichen Teil seiner Zeit und Energie darauf verwendet, homosexuellen Menschen den Zugang zu Gott zu verwehren. Es ist sehr traurig.

Burka und Homo-Ehe

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Nein, ich möchte nicht die Vollverschleierung von Frauen mit gleichgeschlechtlichen Ehen vergleichen. Ich möchte vielmehr die Vollverschleierung von Frauen mit der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen vergleichen. Ich möchte heute die Parallelen aufzeigen zwischen denen, die es ablehnen, dass Frauen in der Öffentlichkeit unverschleiert sind, und denen, die es ablehnen, dass zwei Männer bzw. zwei Frauen heiraten dürfen. Da gibt es nämlich eine Menge Gemeinsamkeiten.

Es geht schon damit los, dass beides hochmoralische Positionen sind, dass beide Parteien vom moralischen hohen Ross herunter argumentieren. Wer die Vollverschleierung von Frauen propagiert, sieht sich selbst als Verteidiger, meist als einzig wahre Verteidiger der Ehre der Frauen. Er sieht in der Vollverschleierung selbstverständlich keine Herabwürdigung, vielmehr beklagt er den moralischen Verfall aller anderen, die es zulassen, dass Frauen in der Öffentlichkeit zum Objekt männlicher Begierde gemacht und damit abgewertet werden.

Genauso sehen sich die Gegner gleichgeschlechtlicher Ehen als einzig wahre Verteidiger der Institution Ehe, deren Gefährdung, Zerstörung, Abschaffung sie fürchten. Sie sehen gleichgeschlechtliche Beziehungen als vorrangiges Zeichen eines moralischen Verfalls, der längst Hand an die Grundfesten unserer Gesellschaft gelegt hat, und der zum Wohle aller unbedingt aufgehalten werden muss.

Beide bilden dabei nur eine Fraktion innerhalb ihres Glaubens, weder sind alle Muslime für Vollverschleierung noch alle Christen gegen gleichgeschlechtliche Ehen. Dabei gehören sie regelmäßig zum konservativen, mehr noch zur konservativ verbohrten Teil ihrer Religionsgemeinschaften. Sie stehen für ewige Werte und lehnen alle neuen Gedanken schon deshalb ab, weil alles Neue nicht ewig sein kann und deshalb falsch sein muss. Neue Ideen, neue Erkenntnisse sind für sie keine Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und dabei den moralischen Kompass neu und eventuell besser auszurichten. Nein, diese Gruppen halten die Ausrichtung ihres moralischen Kompasses von Alters her für richtig und sehen diese durch Neues grundsätzlich bedroht.

In beiden Fällen sind die Betroffenen selbst oft, aber nicht immer Teil der Bewegung. Viele Frauen, die Burka oder Niqab tragen, tun dies durchaus freiwillig und aus innerer Überzeugung. Genauso verzichten viele Schwule und Lesben freiwillig und aus innerer Überzeugung auf einen Partner. Und in beiden Fällen ist freiwillig ein durchaus dehnbarer, fließender Begriff. Sowohl die Vollverschleierung als auch die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen werden als Akt der Menschenfreundlichkeit, als hilfreicher Schutz in einer moralisch gefallenen und verkehrten Welt propagiert. Und es ist nur natürlich, dass die Betroffenen selbst, die vielleicht mit einer solchen Argumentation aufgewachsen sind, sich diese zu eigen machen. Das macht diese Ideen noch lange nicht richtig. Die Zustimmung der Unterdrückten macht eine Unterdrückung nicht ungeschehen. Sie macht sie noch schlimmer.

Denn egal mit welchen Argumenten beide Gruppen für ihre Position werben: In beiden Fällen werden Menschen herabgewürdigt und in ihrer Würde verletzt. Sowohl bei der Ablehnung unverschleierter Frauen als auch bei der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehung ist der angebliche Schutz nur ein Vorwand, die Menschenfreundlichkeit nur Fassade. Beide sehen den eigenen moralischen Verfall nur im anderen. Die patriarchalische Gesellschaft der arabischen Welt wirft den Schleier nicht zum Schutz über die Frauen, sie versucht damit die Verkommenheit der Männer zu verschleiern. Und das christliche, heteronorme Abendland sieht in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Pochen auf das „heilige Recht auf sexuelle Befriedigung“ und offenbart damit mehr über ihre eigenen, verdrängten Begierden als über die Realität gleichgeschlechtlicher Beziehungen.

Das moralische hohe Ross ist traditionell der Platz für alle, die mit ihrer eigenen inneren Zerrissenheit nicht zurecht kommen, und ihr Heil in der Verurteilung anderer sehen. Die unverschleierte Frau ist nur eine Bedrohung für den Mann, der seine sexuellen Begierden nicht unter Kontrolle hat. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist nur eine Bedrohung für den Menschen, der längst nicht mehr an die Kraft von Liebe und Treue glaubt und den eigenen moralischen Verfall durch ein Korsett aus Tradition aufhalten will. Die verschleierte Frau und der enthaltsame Homosexuelle sollen retten, was an ganz anderer Stelle zerstört wurde.

Es gibt natürlich für uns im christlichen Abendland auch einen wichtigen Unterschied: Die Ablehnung von Schwulen und Lesben ist Teil unserer Tradition, die Verschleierung von Frauen nicht. Der irische Schriftsteller Oscar Wilde wurde im Jahr 1895 wegen homosexueller Unzucht zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt. Von den gesundheitlichen Folgen dieser Bestrafung hat er sich nicht mehr erholt und starb 1900 im Alter von nur 46 Jahren. In der Türkei wäre ihm das, zumindest damals, nicht passiert. Dort wurde die Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen schon 1852 abgeschafft, in Deutschland hat man sich bis zur endgültigen Abschaffung des § 175 bis ins Jahr 1994 Zeit gelassen.

Der Kampf gegen die Vollverschleierung, wie er von konservativ-christlicher Seite geführt wird, ist kein Kampf gegen die Unterdrückung und für die Rechte von Menschen, er ist ein Kampf gegen das Neue und Fremde und für die Tradition. Der Seitenblick auf den von denselben Menschen geführten Kampf gegen die Ehe für alle macht das mehr als deutlich.

Schuldbekenntnis

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Bei dem Massaker in Orlando im US-Bundesstaat Florida am 12. Juni 2016 wurden 49 Menschen getötet und 53 verletzt. Damit ist es das folgenschwerste Attentat in den Vereinigten Staaten seit den Anschlägen vom 11. September 2001, der gravierendste einzelne Gewaltakt gegen Homosexuelle und eines der verheerendsten Massaker in der Geschichte des Landes.

So steht es heute, eine Woche danach, in der Wikipedia. Streng genommen sind es 50 Tote, der Attentäter wurde von der Polizei getötet. Ich möchte hier nichts verharmlosen, angesichts der ungeheueren Schwere seiner Schuld kann ich ihn nicht zu den Opfern zählen. Aber es erscheint wahrscheinlich, dass der abgrundtiefe Hass gegen Schwule und Lesben, der ihn zu dieser beispiellosen Tat getrieben hat, im Kern Selbsthass war.

Ein Anschlag dieses Ausmaßes wäre zurzeit wohl ohne einen gewissen islamistischen Hintergrund nicht denkbar, und was Hass und Gewalt gegen Schwule und Lesben betrifft, nehmen die islamischen Staaten zweifellos eine sehr traurige Spitzenposition ein. Aber Homophobie ist kein Phänomen, das sich auf den Islam beschränkt. Der Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung Homosexueller ist eine Menschenrechtsfrage, und die katastrophale Lage sexueller Minderheiten in islamischen Staaten ist Teil einer allgemein katastrophalen Menschenrechtslage in diesen Ländern.

In der westlichen Welt wird der Kampf gegen diese Menschenrechte vor allem mit christlichem Hintergrund geführt. Seit der Gleichstellung der Ehe vor knapp einem Jahr sind in den USA über 200 Bundesstaatsgesetze erlassen worden, die die Diskriminierung sexueller Minderheiten erleichtern oder sogar zum Inhalt haben. Es würde mich sehr wundern, wenn auch nur eines davon von einer muslimischen Interessengruppe durchgebracht worden wäre.

In Deutschland hat die Bundeskanzlerin Tage gebraucht, um die Zielgruppe des Massakers auch nur zu benennen. Zuvor hat sie von einem Anschlag auf die offene Gesellschaft geredet, von einer offene Gesellschaft, die für Schwule und Lesben auch in Deutschland in dieser Form nicht existiert. Frau Merkel hat sich in ihrer Amtszeit aktiv gegen diese offene Gesellschaft eingesetzt und musste sich dabei mehrfach vom Bundesverfassungsgericht über die Konsequenzen unserer freiheitlicher Verfassung bezüglich der Rechte Schwuler und Lesben belehren lassen.

Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland und Präsident der Vereinigung evangelischer Freikirchen, empört sich nicht über den Anschlag an sich, sondern nur über zwei Kommentatoren, die einen solchen Anschlag auch aus dem evangelikalen Fundamentalismus heraus für möglich erachten. Angesichts 49 toter Schwulen und Lesben wendet er sich gegen die Diffamierung von Christen und fordert sie dazu auf, fröhlich ihren Glauben (an die Sündhaftigkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen) zu bekennen.

Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Wer Ablehnung sät, wird Hass ernten. Wer Diskriminierung sät, wird Gewalt ernten. Auch Hass und Gewalt brauchen moralische Rechtfertigung, und Attentäter halten ihre Taten regelmäßig für berechtigt und sogar für gut. Das Massaker in Orlando hebt sich in seiner abgrundtiefen Schlechtigkeit weit ab von der alltäglichen Anfeindung und Diskriminierung, die Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle erfahren. Aber es wäre ohne diese Alltagsdiskriminierung nicht denkbar. In einer Gesellschaft. in der gleichgeschlechtliche Beziehungen von allen Seiten als normal und alltäglich angesehen werden, findet der Hass der Attentäter keinen Nährboden.

Deshalb bereiten auch Angela Merkel und Ansgar Hörsting den Nährboden für Hass und Gewalt, auch für Gewalttaten wie die in Orlando. Damit sind sie nicht allein. Auch ich habe meinen Beitrag zur Alltags-Homophobie geleistet und bin damit, wenn auch hoffentlich nur zu einem sehr geringen Maß, mitverantwortlich für die Tat und die Opfer. Und es wird höchste Zeit für mein Schuldbekenntnis:

Für zwanzig Jahre meines Lebens habe ich Schwulen und Lesben aktiv den Platz in der Mitte des gesellschaftlichen Lebens, vor allem des christlichen Lebens verweigert. Ich habe sie als krank bezeichnet und wirkungslose, gefährliche Therapien empfohlen. Ich habe ihre Beziehungsfähigkeit und moralische Integrität in Frage gestellt. Ich habe die Bibel verwendet, um gegen Menschenrechte, gegen Menschlichkeit, gegen Menschen vorzugehen. Ich habe Leiden verlängert, Verzweiflung hervorgerufen, Vertrauen auf Gott verhindert. Und bis heute mache ich mich der Sünde des Unterlassens schuldig. Ich setze mich zu wenig aktiv, zu wenig mutig gegen Diskreditierung und Diskriminierung der Randgruppe ein, der ich selbst angehöre.

Die meisten dieser Sünden richteten sich gegen mich. Es erleichtert mein Gewissen, dass ich selbst mein größtes Opfer war, es macht aber meine Worte und Taten nicht weniger schlimm, nicht weniger sündig. Und ich habe auch meine Meinungen und Überzeugungen verbreitet und Gleichgesinnte unterstützt. Auch wenn ich aus meiner Erinnerung kein konkretes Opfer meiner Taten benennen könnte: Das heißt nicht, dass ich nicht auch einzelnen Menschen konkret geschadet habe. Mit Sicherheit habe ich zur homophoben Stimmung in Gemeinde und Gesellschaft, zur Alltagshomophobie beigetragen. Und nicht zuletzt habe ich Gottes Güte zu wenig vertraut. Ich habe zu wenig vertraut, dass er Lösungen bieten kann, wo Menschen nur Gebote sehen, dass seine Größe, Kreativität und seine Liebe nicht durch meine Vorstellungskraft begrenzt wird. Ich habe, privat und öffentlich, Gott schlechtgemacht und seinen Ruhm geschmälert.

Ich bekenne meine Schuld, und ich bitte Gott und die LGBT-Community um Vergebung.

Ein Appell

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Heute ist der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie. Ich glaube, Homophobie im engeren Wortsinne ist mir bisher noch nicht begegnet, zumindest nicht unter Christen. Aber Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Angst und Hass. Deshalb möchte ich mich heute direkt an alle Christen wenden, die gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen, weil sie überzeugt sind, dass sie nicht mit der Bibel vereinbar sind.

Ihr wollt nicht homophob genannt werden. Zurecht, denn es geht euch nicht um Angst und Hass, ihr seid entschieden gegen Gewalt und wollt auch nicht den § 175 wieder einführen. Ihr seid tolerant und gesteht anderen Menschen zu, selbst zu entscheiden, wie sie ihr leben führen wollen, auch in der Öffentlichkeit.

Es ist euer selbstverständliches Recht, eure Meinung, eure Überzeugung zu äußern, zu eurer Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu stehen, privat, in der Gemeinde und in der Öffentlichkeit. Aber gleichzeitig hat eure Überzeugung Konsequenzen, eure Worte und Taten haben Folgen, vor denen ihr die Augen nicht verschließen dürft.

Eure Überzeugung liefert das Brennmaterial für die Brandstifter in unserer Gesellschaft. Sie dient Homophoben als Rechtfertigung, sie ist der moralische Nährboden, den auch die Saat des Hasses und der Gewalt zum Wachsen braucht.

Eure Überzeugung würdigt Menschen herab. Die sexuelle Identität ist kein Anhängsel, das sich abschneiden lässt, keine Mode, die geändert werden kann. Sie ist integraler Teil der Persönlichkeit. Ihr lehnt keine Beziehungsmodelle oder Lebensstile ab, ihr lehnt Menschen ab.

Eure Überzeugung verlästert den Dienst der Christen. Ihr lasst Gott als engherzig und lieblos erscheinen, als einen Gott, der an Einhaltung von Regeln mehr interessiert ist als am Wohl und am Heil der Menschen. Ihr schreckt Menschen von Jesus ab und verschließt ihnen den Himmel.

Eure Überzeugung stürzt Menschen in Leid und Verzweiflung. Sie führt zu einem unauflöslichen Dilemma, das nicht selten ernsthafte psychische oder körperliche Probleme zur Folge hat, und im Extremfall treibt sie Menschen dazu, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Als Christen steht ihr in der Verantwortung, die Folgen eurer Worte und eurer Taten zu bedenken. Auch die Nachfolge Jesu und die Treue zur Bibel entbindet euch nicht von dieser Verantwortung. Ich bitte euch deshalb: Informiert euch aus verschiedenen, unabhängigen Quellen. Hinterfragt eure Überzeugungen und lasst euch von anderen hinterfragen. Rechnet bei der Auslegung der Bibel mit eurer Fehlbarkeit und mit der Fehlbarkeit eurer geistlichen Vorbilder. Und ganz besonders: Nehmt das Leid der Menschen wahr und ernst. Sucht nicht nach Rechtfertigungen für dieses Leid, sondern sucht nach Wegen und Möglichkeiten, dieses Leid zu lindern oder zu beenden.

Ich weiß, eure Absichten sind nicht böse. Aber eure Überzeugungen haben böse Konsequenzen, eure Worte und Taten haben Böses zur Folge. Wendet euch ab von diesem Weg des Bösen und sucht von ganzem Herzen und mit all eurer Kraft nach neuen Wegen, nach Wegen der Nächstenliebe und des Heils, auch für Schwule und Lesben, für Bi- und Transsexuelle. Gott wird euch diese Wege finden lassen.

Danke.