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Archiv des Autors: Markus

Allgemeine Lage

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Wie die Zeit vergeht: Über ein Jahr ist mein letzter Eintrag auf dieser Seite alt. Höchste Zeit, mal wieder etwas „Content“ zu produzieren, zumal sich bei mir ein paar Themen angesammelt haben, über die ich gerne schreiben würde. Zum Wiedereinstieg gibt’s ein paar Worte zur Lage der Nation, will sagen, zur aktuellen Nachrichtenlage der queeren Christenheit.

Das Nachrichtenportal queer.de listet in der Rubrik „Glaube“ für dieses Jahr bereits 20 Artikel auf. Die meisten davon beschäftigen sich mit der Katholischen Kirche und ihren mehr oder weniger würdigen Würdenträgern. Das ist nicht weiter verwunderlich: Die schlimmsten homophoben Wortmeldungen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit kommen häufig von römisch-katholischen Bischöfen, aber auch der Meinungskampf zum Thema Homosexualität wird in kaum einer Organisation so offen und so öffentlich geführt wie unter den Katholiken. Der Weg zu einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erscheint mir noch sehr weit, aber er wird mittlerweile von katholischen Bischöfen und Theologen aktiv beschritten. Und der Versuch, den katholischen Theologen Ansgar Wucherpfennig wegen eben dieser Haltung aus dem Amt zu entfernen, ist bekanntlich gescheitert.

Als durchaus überzeugter nicht-Katholik beobachte ich die Lage als Außenstehender. Viel näher trifft mich die Situation in der evangelisch-freikirchlichen Welt, zu der queer.de in den letzten zwei Monaten auch bereits vier verschiedene Meldungen herausgebracht hat. Am Anfang dieser Woche entschied sich die Generalkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche mit knapper Mehrheit, die bisherige, ablehnende Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichen beizubehalten und zusätzlich anders denkenden Pastoren und Gemeinden mit Sanktionen bis hin zum Ausschluss zu drohen. Das Entsetzen gerade unter den europäischen Methodisten scheint groß zu sein. Von einem ungewissen Weg in die Zukunft, ja von Spaltung der Evangelisch-methodistischen Kirche ist die Rede.

Auch vom Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland gibt es eine neue „Orientierungshilfe“ zum Thema Homosexualität, die Ende letzten Jahres erschienen ist und im Februar in vielen Medien diskutiert wurde. Der evangelische Pfarrer und Theologe Dr. Wolfgang Schürger sieht bei Kreuz & queer einen Schritt in die richtige Richtung und zieht ein überwiegend positives Fazit. Das mit dem Schritt in die richtige Richtung kann ich nachvollziehen, das positive Fazit nicht. Das alte Papier des FeG-Bundes von 2004 enthält ein paar recht offensichtliche Lügen, die sich für mich teilweise am Rand der Verleumdung bewegten. Das neue Dokument ist wesentlich sorgfältiger formuliert, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Die neuen Formulierungen ändern nichts daran, dass die vertretenen Thesen krank machend sind und Menschen schweren Schaden zufügen können. Gerade weil allzu offensichtliche Lügen durch plausibel klingende Un- und Halbwahrheiten ersetzt wurden, ist das Dokument schwerer angreifbar und widerlegbar. Ich fürchte, deshalb werden die Inhalte auch von wohlmeinenden Christen eher geglaubt und können damit in der Praxis auch mehr Schaden anrichten.

Mein Eindruck ist allerdings, dass sich das Dokument aber gar nicht so sehr an LGBTQ+-Christen, sondern an anders denkende Pastoren und Gemeindeleitungen richtet. Im Gegensatz zu den Methodisten kann der Bund Freier evangelischer Gemeinden nicht so einfach seine Position nach unten durchregieren, weil die Strukturen andere sind. Dass die Bundesleitung glaubt, ihre Position so wortreich vertreten zu müssen, zeigt schon, dass sie längst nicht mehr von allen Freien evangelischen Gemeinden geteilt wird.

Ich denke da an eine Predigt von Pastor Lars Linder aus der FeG Essen Mitte vom November 2017, die mir sehr nahe gegangen ist. Ich möchte einen Gedanken aus dieser Predigt aufgreifen:

Kirche hat fasziniert, weil sie mit Menschen – die verachtet, stigmatisiert, an den Rand geschoben waren – umgegangen ist in einer Art und Weise, die einzigartig war. (…) Deshalb war Kirche in den ersten Jahrhunderten missionarisch, einladend. Eine Haltung, die Gemeinde Jesu immer wieder neu erkämpfen und erleben lernen muss.

Es geht heute nicht mehr nur darum, ob eine Randgruppe auch ihren Platz am Tisch des Herrn haben darf – auch wenn das allein schon wichtig genug ist. Es geht mittlerweile um deutlich mehr. Es geht um die gesellschaftliche Relevanz, um die ethische Glaubwürdigkeit, um die missionarische Wirksamkeit der christlichen Verkündigung. Wer Schwule und Lesben ins Abseits stellt, stellt sich damit – völlig zurecht – ins gesellschaftliche Abseits und disqualifiziert sich als ethisch-moralische Instanz. Als Beleg seien zwei Zitate aus den Kommentaren bei queer.de angeführt. Zu der Entscheidung bei den Methodisten kommentiert Ralph:

Diese Banden sagen, schwul sein ist unvereinbar mit dem Christentum. Ich aber sage: Das Christentum ist unvereinbar mit Anstand und Vernunft, mit Menschenwürde und Grundrechten, mit Freiheit und Vielfalt.

Und zur „Orientierungshilfe des FeG-Bundes“ schreibt NeverEnding:

Es gibt immer wieder Leute, die meinen, es besser wissen zu wollen. Die keine Fakten kennen und nur ihre eigene Lebenswelt wettschätzen. Die übrigens keine Nächstenliebe umsetzen können.

Die Leser von queer.de sind kein repräsentativer Schnitt durch die Gesellschaft, aber die in diesen Kommentaren vertretene Ansicht ist auch jenseits der queeren Weilt weit verbreitet.

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:

Niemandem geben wir auch nur den geringsten Anstoß, damit unser Dienst nicht verhöhnt werden kann.

Zu viele Christen sehen es leider immer noch als Gütesiegel ihres Glaubens, wenn sie in der Zivilgesellschaft Anstoß erregen. Und zu viele andere Christen spielen dieses Spiel mit, nehmen um des lieben Friedens willen in Kauf, sich in weiten Teilen der Gesellschaft als moralische Instanz zu disqualifizieren. Lieber ein schlechtes Beispiel in Frieden als ein gutes Beispiel im Streit. Ich kann das absolut nachfühlen, aber das macht es nicht besser.

Ich habe den allergrößten Respekt vor den Pionieren der queeren Christenheit, vor einem Günter Baum, einer Valeria Hinck und den vielen anderen, die unter schwierigsten Bedingungen für Toleranz gekämpft haben, als Akzeptanz noch in unerreichbarer Ferne schien. Die Zeiten haben sich – Gott sei Dank – geändert, und ich glaube, es ist an der Zeit, dass die „Verbündeten“, die cis-hetero-Christen sichtbar und laut in diesen Kampf mit einsteigen, ihn vielleicht sogar übernehmen. Denn wenn die Situation der LGBTQ+-Christen so endet, wie in der Zeichnung des nakedpastor David Hayward, ist das nicht nur zum Schaden dieser Menschen, es ist zum Schaden des ganzen Leibes Christi.

Queerer Buchstabensalat

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Ich bin schwul. Das ist ein schöner, kompakter, einfacher Satz, mit dem erst mal vieles gesagt ist – zumindest im Bezug auf das Thema dieser Seite. Aber ich habe auch weibliche Leser, die natürlich, wenn sie sich zu Menschen gleichen Geschlechts hingezogen fühlen, nicht schwul, sondern lesbisch sind. Und dann kommen noch die Menschen beiderlei Geschlechts dazu, die sich in Menschen beiderlei Geschlechts verlieben, also bisexuelle Menschen, und schon haben wir den dritten Begriff.

Damit hätte ich noch nicht mal die verschiedenen sexuellen Orientierungen abgedeckt. Aber wenn ich mich in meinem Freundeskreis umschaue, gibt es da Menschen, die sind trans, und die möchte ich auch nicht ausschließen, auch wenn es beim trans-Sein weniger um die sexuelle Orientierung als mehr um die eigene sexuelle Identität geht.

Ich könnte jetzt jedesmal lesbisch, schwul, bisexuell und trans schreiben, aber das wäre schon relativ umständlich. Glücklicherweise gibt es dafür eine Abkürzung: LGBT. Die kommt aus dem Englischen, deshalb steht da auch ein G für gay. Man kann auch die deutsche Abkürzung, LSBT, verwenden, aber die sieht man selbst im deutschen Sprachgebrauch relativ selten. Immerhin muss ich mir als Schreibender keine Gedanken machen, ob ich LGBT als el-ge-be-te oder als el-dschi-bi-ti ausspreche.

Das Kürzel LGBT hat viele Vorteile: Es ist kompakt, halbwegs aussprechbar und immerhin so weit verbreitet, dass man es nicht ständig erklären muss. Es hat nur einen großen Nachteil: Es ist unvollständig. Viele Menschen finden sich nicht darin wieder. Das geht schon damit los, dass L, G. B und T sich zunächst mit einem binären Geschlechter-Verständnis begnügen: Da gibt es Mann und Frau und erst mal nichts daneben oder dazwischen. Das gilt auch für viele trans-Menschen, und ich glaube, ich habe erst im Gespräch mit diesen begriffen, wie wichtig die Zugehörigkeit zu einem bestimmten, eindeutigen Geschlecht für einen Menschen sein kann.

LGBT kennt keine intersexuellen Menschen, keine mit nicht-binärem Geschlecht und auch nicht die, die auf sonst irgend eine Weise queer sind. Und um noch mal auf die sexuelle Orientierung zurückzukommen: Man kann ja diskutieren ob Pansexualität (die Orientierung auf Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht) noch von Bisexualität unterschieden werden muss. Keinesfalls ausschließen darf man allerdings asexuelle Menschen, weil gerade diese Leute es verdient haben, als eigenständige Gruppe der sexuellen Orientierung erkannt zu werden, und nicht nur als Menschen mit Mangel an Gelegenheit.

Und dann gibt es noch die vielen, lieben Menschen, die uns nach Kräften unterstützen, obwohl sie sich als cis-binär-heterosexuelle Menschen aus all dem heraushalten könnten, diese wichtigen Verbündeten, englisch Allies genannt.

Versucht man das alles in eine Abkürzung zu gießen, kommt so etwas wie LGBTTQQIAAP heraus. Das ist halbwegs vollständig, aber zugleich völlig unlesbar. Texte, in denen in jedem zweiten Satz ein solcher Buchstabensalat vorkommt, würden weder dem Schreiber noch dem Leser Spaß machen. Und es stellt sich die Frage: Muss das denn alles so kompliziert sein? Müssen wir diese ganzen Gruppen und Bezeichnungen und Buchstaben haben?

Darauf kann es nur eine Antwort geben: Aber ja, natürlich! Zurzeit leben knapp 7,5 Milliarden Menschen, und keine zwei sind gleich. Man könnte so weit gehen zu sagen, es gäbe knapp 7,5 Milliarden unterschiedliche sexuelle Orientierungen und sexuelle Identitäten. Die ganzen Kategorisierungen, wie sie in LGBTTQQIAAP und ähnlichen Abkürzungen ausgedrückt werden, sind notwendige, aber letztlich künstliche Einordnungen. Sie sind notwendig, weil sie uns die Mittel geben, über die Sache zu reden, und weil sie vielen Menschen erst ermöglichen, sich selbst zu finden und zu entdecken und dann das, was sie gefunden und entdeckt haben, anderen zu beschreiben.

Was bleibt, ist ein literarisches Problem. Texte, selbst in bester Absicht geschrieben, sind nutzlos, wenn sie niemand lesen mag oder wenn sie nur mit umfangreichen Erklärungen verstanden werden können. Ich habe mich entschieden, fürs erste bei IGBT oder je nach Textzusammenhang bei IGBTQ+ zu bleiben. Und wenn es möglich ist, will ich versuchen, diese Abkürzung ganz zu vermeiden und andere Beschreibungen zu finden. Ich weiß, dass damit Menschen unerwähnt bleiben, die eigentlich erwähnt werden sollten. Ich habe diese Menschen nicht vergessen, ich gehe hier bewusst einen Kompromiss ein, der mir das Schreiben und anderen das Lesen erleichtern, in vielen Fällen erst ermöglichen soll.

Ich bin schwul. Außerdem bin ich ein binärer cis-Mann. Ich bin dankbar für diese Begriffe, die es mir in wenigen Worten erlauben, meine eigene sexuelle Identität zu charakterisieren. Es gibt so viele solcher Begriffe, und nicht jeder kann in jedem meiner Blog-Einträge eine Rolle spielen. Aber ich habe viele Male erlebt: Immer wenn ich einen neuen dieser Begriffe kennen lerne, hilft er mir, einen Menschen besser zu verstehen.

No Place in Heaven

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So lautet der Titel eines Liedes des libanesisch-britischen Sängers Mika, auf das ich letzte Woche gestoßen bin, und das mich sehr angesprochen hat. Der Titel und das gleichnamige Album wurden allerdings schon vor zweieinhalb Jahren veröffentlicht. Ich kann beides nur sehr empfehlen.

Ich möchte den Text des Liedes hier nur auszugsweise wiedergeben, um das Zitatrecht nicht überzustrapazieren. Er ist (mit etwas Suche) auf der Lyrics-Seite des Künstlers und natürlich auch sonst im Internet zu finden. Ein Youtube-Video kann ich aber guten Gewissens einbinden:

Die titelgebende Zeile stammt aus dem Refrain und lautet vollständig:

There’s no place in heaven for someone like me.

Es gibt keinen Platz im Himmel für jemanden wie mich.

Das Lied ist sehr wahrscheinlich aus der Perspektive eines schwulen oder bisexuellen Menschen geschrieben. Das zeigt nicht nur die Textzeile: „for every love I had to hide“ (für jede Liebe, die ich verbergen musste), sondern das legen auch ein paar andere Songs auf demselben Album nahe. Mika selbst ist nach eigenen Angaben nicht hetero und soll aus katholischem Hintergrund kommen. Wenn man die vielen Äußerungen katholischer Würdenträger zum Thema Homosexualität kennt, ist es leicht nachvollziehbar, dass ein schwuler oder bisexueller Katholik glaubt, im Himmel nicht willkommen zu sein.

Der Sänger gibt sich mit diesem Schicksal nicht zufrieden und wendet sich an die richtige Stelle. Das Lied beginnt mit den Zeilen:

Father, will you forgive me for my sins?
Father, if there’s a heaven, let me in.

Vater, wirst Du mir meine Sünden vergeben?
Vater, wenn es den Himmel wirklich gibt, lass mich rein.

Das Lied ist in der Tat ein Gebet, und ein sehr flehendes Gebet noch dazu. Der Sänger wünscht sich und bittet darum, bei Gott noch eine Chance zu bekommen, obwohl es doch eigentlich keinen Platz im Himmel für ihn gäbe. Viele der beschriebenen Gefühle kann ich sehr gut nachvollziehen. Besonders angesprochen haben mich die folgenden Zeilen:

In between us an ocean can be found.
How long will I swim before I drown?

Zwischen uns ist ein Ozean zu finden.
Wie lange werde ich schwimmen, bevor ich ertrinke?

Ich kenne das aus meiner Vergangenheit: Die Trennung von Gott kann sich wie ein weites Meer anfühlen, und die einzige Chance ist, trotzdem in Richtung Gott loszuschwimmen, auch wenn die Entfernung weiter ist, als die eigenen Kräfte (nach menschlichem Ermessen) reichen können.

Dem Text nach könnte man ein sehr trauriges, ja ein verzweifeltes Lied erwarten, aber die Musik lässt das nicht zu. Sie hat natürlich einen flehenden Klang, aber der musikalische Schwerpunkt liegt woanders. Für mich transportiert die Musik vor allem eines: Hoffnung. Fröhliche, zuversichtliche Hoffnung.

Gerade das macht das Lied für mich so besonders. Ich bin ein Mensch, der sich (wie viele) nach Gewissheit sehnt. Ich denke oft, dass erst sicheres Wissen mir die Geborgenheit und Sicherheit gibt, nach der ich mich sehne. Hoffnung ist mir da oft zu wenig, zu vage. Auch in meiner Sehnsucht nach Gewissheit finde ich mich in dem Liedtext wieder. Aber der Musiker Mika enthält mir die Erfüllung dieser Sehnsucht vor. Die drängenden Fragen, die er stellt, erhalten keine Antwort. Stattdessen spielt er ein Lied der Hoffnung, das trotz offener Fragen Zuversicht und Freude vermittelt.

Mir fällt 1. Korinther 13 ein: Alle Erkenntnis wird verschwinden. Bleiben werden Glaube, Hoffnung und Liebe. Und auch wenn die Liebe die größte unter diesen dreien ist, kann das kein Grund sein, die Hoffnung zu vernachlässigen.

Meine Möglichkeiten sind ebenso begrenzt wie mein Horizont. Gott hat da immer noch ein Ass im Ärmel. Ich verwende dieses Bild bewusst, gerade weil das Ass im Ärmel beim Kartenspiel einen Regelverstoß, ja einen Betrug darstellt. Auch wer davon überzeugt ist, dass es für jemand wie ihn keinen Platz im Himmel gibt, hat keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben. Jeder Bibelleser weiß, wie flexibel Gott mit seinen eigenen Spielregeln umgeht, wenn es darum geht, Hoffnungslosen neue Hoffnung zu geben. Fakten können manchmal ziemlich irreführend sein, wenn der Allmächtige ins Spiel kommt. Die bloße Hoffnung auf den lebendigen Gott kann realer sein als alles, was wir Realität nennen.

Für mich ist das Lied eine Ermutigung, die fröhliche Hoffnung als Weg in die Nähe Gottes  neu zu entdecken und wertzuschätzen. Der Inhalt meines Gebetes darf Sorge und Verunsicherung sein. Der Ton, der Klang meines Gebetes soll Freude und Zuversicht, soll Hoffnung sein. Mikas Lied hat mir geholfen zu verstehen, dass dies kein Widerspruch ist.  Danke dafür.

Die Heiligen Drei Könige

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Gestern war Dreikönigstag. Ursprünglich und eigentlich heißt der Tag Epiphanias, also Erscheinungsfest. Es geht dabei auch nicht darum, dass orientalische Würdenträger in Betlehem erschienen, sondern dass der Messias höchstselbst in der Welt erschienen ist. Viele christliche Kirchen feiern Weihnachten traditionell am 6. Januar.

Dazu passt, dass die drei Könige eine spätere Erfindung sind. Der Evangelist Matthäus schreibt weder von Königen, noch dass es drei gewesen sein sollen. Welcher König würde schon selbst aufbrechen, um in einem unbedeutenden, von den Römern besetzten Land einem neugeborenen König zu huldigen. Für so etwas schickt man seine Botschafter.

Der biblische Text legt so gar nahe, dass die Weisen, wie sie in den meisten deutschen Übersetzungen genannt werden, aus eigenem Antrieb gekommen sind. Es handelt sich um Magier, Sterndeuter, Astrologen. Dass der Stern vor ihnen hergegangen und ihnen so den Weg gezeigt haben sein soll, ist wohl dem jüdischen Schreiber zuzuordnen, der weder Astrologie noch von Astronomie viel Ahnung gehabt haben dürfte. Die Sterndeuter werden wohl eine Konstellation gesehen haben, die für sie eindeutig war, auch wenn wir heute nicht mehr genau nachvollziehen können, welche das gewesen sein soll.

Damit dürfte sich auch das Attribut heilig erledigt haben. Das Urteil der Bibel über Astrologen im Besonderen, Weissager im Allgemeinen, und erst recht über Magier ist eindeutig, eindeutig negativ. Kein Jude bei klarem Verstand hätte diese Gruppe heidnischer Magier als heilig bezeichnet. Da sie aus dem fernen Ausland angereist sind, gebietet die Gastfreundschaft (und die Diplomatie), die Fremden willkommen zu heißen. Hätten Juden derart Astrologie betrieben, wäre nach dem jüdischen Gesetz vermutlich Steinigung die richtige Antwort gewesen.

Ich möchte damit keinesfalls die Tat dieser Weisen klein reden. Sie sind auf eine lange, beschwerliche Reise aufgebrochen, um zu den ersten zu gehören, die den Messias anbeten. Das ist jeder Ehre wert, egal auf welche Weise sie von der Geburt Jesu erfahren und was sie davon wirklich verstanden haben.

In anderer Hinsicht ist es natürlich ein großer Unterschied, ob der neugeborene Jesus von einer Delegation ausländischer Könige oder von einer Gruppe heidnischer Astrologen besucht wird, denn die wahre Geschichte hat auch einen Aspekt, der in der Bibel häufiger vorkommt: Alle kapieren, was Gott großes tut, nur die Juden nicht. Das ganze Buch Jona handelt davon: Es ist voll von Heiden, die die Macht Gottes begreifen und ihr Handeln danach ausrichten, nur der Prophet Jona, der einzige Jude in der ganzen Geschichte, begreift bis zum Ende nicht, was Gottes Herz wirklich bewegt.

Und noch eine populäre Zutat von Weihnachtskrippen schlägt in die gleiche Kerbe: Ochs und Esel kommen in den Weihnachtsgeschichten des Neuen Testamentes nicht vor. Statt dessen basieren sie auf Jesaja 1, Vers 3:

Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.

Anbetung und Geschenke, das ist die Reaktion der Heiden auf den neugeborenen Jesus. Ganz ähnlich reagieren auch die Juden am unteren Rand der Gesellschaft; ich möchte die Hirten hier nicht unterschlagen. Die einzige Antwort des jüdischen Establishment? Der Kindermord des Herodes! Wobei ich jetzt nicht Herodes als typischen Juden hinstellen will. Seine Tat tauchte wohl deswegen kaum in der damaligen Geschichtsschreibung auf, weil rund ein Dutzend getöteter Säuglinge bei den sonstigen Untaten des Herodes nicht weiter ins Gewicht gefallen sind.

Ich schreibe das deshalb, weil die Menschheit, insbesondere der gläubige Teil davon, sich bis heute nicht geändert hat. Die Gewohnheit des Glaubens kann blind machen für das, was Gott wirklich wichtig ist. Manchmal haben gerade die außerhalb stehenden oder die an den Rand gedrängten einen klareren, unverstellteren Blick auf Gott. Wir tun gut daran, gerade auf die Gotteserkenntnis derjenigen zu hören, die unseren Glauben nicht teilen. Die Geisteshaltung eines Jona, der Pharisäer, ja selbst die des Herodes lauert auf uns und will sich unser bemächtigen. Der wertschätzende Blick über den christlichen Tellerrand bewahrt uns davor.

Ich halte absolut nichts von Astrologie. Spätestens seit der Entdeckung des Planeten Uranus müsste eigentlich jedem klar sein, dass die Sterndeuterei menschengemachter Unsinn ist. Wie kann man den Planeten unveränderliche Deutungen zuweisen, wenn sich schon deren Zahl ändert? Trotzdem lässt Gott anlässlich der Geburt seines Sohnes die Astrologen wirkliche Wahrheit erkennen. Der Gott, der sich in der Heiligen Schrift von Anfang bis zum Ende immer wieder gegen Sterndeuterei und Wahrsagerei ausspricht, offenbart sich durch Sterndeuterei und Wahrsagerei.

Ich wohne in der Innenstadt. Sterne sind hier kaum zu sehen, dazu ist es zu hell. Der Blick geht nur selten nach oben zum Himmel, dafür gibt es um mich herum zu viel zu sehen und zu beachten. Sterndeuterei ist für mich keine Gefahr, geistliche Kurzsichtigkeit aber schon. Ich erkenne ein gut Teil Herodes in mir. Keine Angst, ich werde bestimmt keine kleinen Kinder töten, aber auf alles, was meine gewohnten Kreise stört, reagiere ich viel zu oft ängstlich und ungehalten. Ich bitte Gott, dass er meinem Blick die Weite gibt, die sein Wirken auch außerhalb meines begrenzten Horizonts sieht, die Weite, die seiner Größe würdig ist.

Inter

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In einem wegweisenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche festgestellt, dass die Auswahlmöglichkeit männlich  und weiblich zur Beschreibung des Geschlechts einer Person nicht ausreichend sind, und dass es auch nicht genügt, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, diese Stelle leer zu lassen. Wie üblich liefert das Verfassungsgericht keine genaue Lösung, wie das Personenstandsrecht geändert werden muss, sondern beschreibt, was am aktuellen Personenstandsrecht nicht in Ordnung ist, nämlich dass die aktuelle Situation für die klagende Person verfassungsrechtlich nicht zumutbar ist.

Diese lässt sich weder eindeutig dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, was im konkreten Fall eindeutig medizinisch festgestellt wurde. Sie darf daher nicht gezwungen werden, sich ein Geschlecht zuzuschreiben, dem sie nicht angehört. Und auch das leer lassen müssen des Eintrags stellt eine Diskriminierung dar, denn wie die Verfassungsrichter feststellen, ist die geschlechtliche Identität „regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit“. Ein Eintrag ohne Geschlecht würde die Person als unvollständig darstellen, als jemand, der/dem etwas fehlt.

Der Sammelbegriff Intersexualität umfasst eine ganze Reihe von genetischen, anatomischen oder hormonellen Gegebenheiten, die dazu führen, dass ein Mensch biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden kann. Der Begriff ist so uneindeutig und die Datenlage so unklar, dass je nach Definition und Statistik von 80.000 bis 400.000 intersexuellen Menschen in Deutschland ausgegangen werden kann.

Das Thema wurde und wird viel unter den Tisch gekehrt, nicht zuletzt weil vielfach die betroffenen Menschen schon im Säuglingsalter auf ein bestimmtes Geschlecht hin umoperiert wurden (und teilweise immer noch werden), meist auf das weibliche, weil das chirurgisch einfacher ist. Man kann ja vielleicht noch darüber diskutieren, ob es gut ist, wenn erwachsene, selbstbestimmte Menschen sich ihr Äußeres chirurgisch an das Geschlecht anpassen lassen, als das sie sich identifizieren. Ich persönlich halte diese Möglichkeit für einen großen Segen. Aber wenn Ärzte an den Genitalien eines Kindes rumdoktern, das für jeden Willensausdruck bezüglich seiner eigenen geschlechtlichen Identität noch viel zu jung ist, ist das für mich gar nicht gut, das ist für mich nichts anderes als eine Genitalverstümmelung.

So unklar Definition und Statistik sind, so klar und eindeutig ist die Situation meist bei den betroffenen Personen, zum Beispiel bei genetischer Intersexualität. Bei den Geschlechtschromosomen gilt die Kombination xx als weiblich, xy als männlich. Jede andere Kombination, und da gibt es tatsächlich mehrere Möglichkeiten, ist weder eindeutig weiblich noch eindeutig männlich. Das sind medizinische Fakten, die nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden können.

Nun gibt es Christen, die in der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau nach 1. Mose 1, 27 einen abgeschlossenen Katalog allen menschlichen Daseins lesen wollen, dass jeder Mensch entweder eindeutig und in allen Aspekten ein Mann oder eben eindeutig und in allen Aspekten eine Frau sei. Diese Christen mögen im Urteil des Bundesverfassungsgericht einen Angriff auf ihr biblisches, schöpfungsgemäßes Menschenbild sehen. Sie verkennen dabei, dass dieses Urteil auf Fakten beruht, die in sich selbst ein Angriff auf dieses angeblich biblische und schöpfungsgemäße Menschenbild sind.

Dass die Auslegung dieser Bibelstelle auf ein binäres (nur eindeutig Mann und eindeutig Frau kennendes) Menschenbild exegetisch unsinnig ist, habe ich schon vor eineinhalb Jahren geschrieben. Die verschiedenen Formen von Intersexualität zeigen, dass dieses binäre Geschlechtsverständnis schlicht und einfach falsch ist. Ein Menschenbild, das im erkennbaren Widerspruch zur Schöpfung steht, kann nicht schöpfungsgemäß und auch nicht biblisch sein.

Viele Menschen sind sich der medizinischen Fakten, die hinter dem Phänomen Intersexualität stehen, nicht bewusst. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mag dazu beitragen, das Wissen über diese Fakten zu verbreiten. Wenn dieses Wissen bei Christen auf ein binäres Geschlechtsverständnis trifft, wird es zum Prüfstein. Es ist unumstößlicher Teil jedes christlichen Menschenbildes, dass jeder Mensch absichtsvoll von Gott erschaffen ist. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen, die von Geburt an weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind.

Für die Verfassungsrichter ist die Situation eindeutig: Diese Menschen existieren, deshalb haben sie automatisch dieselben Rechte wie alle anderen Menschen. Das im Personenstandsrecht vorgesehene binäre Geschlechtsverständnis zerbricht an der intersexuellen Realität und der verfassungsgemäß garantierten Menschenwürde. Der biblische Befund darf nicht anders aussehen: Das binäre Menschenbild als ausschließlich Mann und Frau zerbricht an der Würde jedes einzelnen Menschen als von Gott liebevoll gewollten und geschaffenen Individuums.

Natürlich sind intersexuell geborene Menschen nicht dazu geschaffen, irgend etwas zu beweisen oder zu widerlegen. Manche von ihnen identifizieren sich als Frau, andere als Mann. Nur ein Teil von ihnen wird die neuen Rechte wahrnehmen, die sich aus dem Verfassungsgerichts-Urteil ergeben. Dafür gibt es andere Menschen, die, obwohl mit biologisch eindeutigem Geschlecht geboren, sich nicht oder nicht allein mit diesem Geschlecht identifizieren. Der Prüfstein Intersexualität kann auf vielerlei Weise zum Stein des Anstoßes werden. Er kann auch zum Eckstein eines Menschenbildes werden, dass die schöpfungsgemäße Vielfalt geschlechtlicher Identitäten preist und das Recht jedes Menschen, diese selbst zu entdecken, ehrt.

Huhn und Schwein

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Ein Huhn und ein Schwein wollen ein Restaurant eröffnen.
Das Schwein frag das Huhn: „Was wollen wir anbieten?“
Das Huhn antwortet: „Wie wär’s mit Eier und Speck?“
Darauf sagt das Schwein: „Das ist unfair. Ich bin persönlich betroffen, du bist nur beteiligt.“

Die Geschichte von Huhn und Schwein wird gerne erzählt, wenn es um Projektmanagement geht. Bei jedem Projekt gibt es Leute, die beteiligt sind und vielleicht wichtige Beiträge liefern. Aber es gibt auch die persönlich betroffenen, die jede Entscheidung, vor allem jede Fehlentscheidung ausbaden müssen. Die Theorie sagt nun, dass es keine gute Idee ist, wenn wichtige Projektentscheidungen von denen getroffen werden, die nur beteiligt sind. Die persönlich Betroffenen treffen solche Entscheidungen nämlich meistens gründlicher und nachhaltiger, weil sie ja genau wissen, dass sie selbst mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen leben müssen.

Die Geschichte kommt aus der Management-Theorie, aber sie betrifft natürlich auch viele andere Lebensbereiche und auch die christliche Gemeinde. Wie der ältere Pfarrer, der zu seinem Kollegen sagte: „Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als wir über die Frauenfrage diskutieren konnten, ohne dass die Frauen mitreden wollten?“

Männer diskutieren über die Rechte der Frau, Weiße über Rassismus und Heteros über Homosexualität. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei Huhn und Schwein. Die Beteiligten treffen Entscheidungen über die Betroffenen und merken meist nicht einmal, was sie diesen zumuten. Und die Betroffenen sehen sofort, dass die Beteiligten die Problematik überhaupt nicht verstanden haben.

Mir wurde auch schon gesagt, dass ich als Betroffener keine eigene Entscheidung zum Thema Homosexualität treffen sollte, dass ich nicht Richter in eigener Sache sein könne. Es geht hier aber nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um mich als Person. Und über alles, was mich als Person betrifft, bin ich selbst (abgesehen von Gott) der Einzige, der genügend Wissen hat, um hier ein Urteil zu fällen. Kein Mensch außer mir selbst hat Einblick in meine Seele, und erst recht darf kein anderer Mensch darüber richten.

Im Übrigen gibt es vor Gericht immer zwei Betroffene. Wenn die Entscheidung nun mal unbedingt zwischen Speck und Hühnerbrust getroffen werden muss, tun Schwein und Huhn gut daran, einen neutralen Richter hinzuzuziehen. So lange das Huhn nur Eier beisteuert, sieht die Sache völlig anders aus.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es für einen heterosexuellen Menschen schwierig sein kann, sich in einen schwulen oder lesbischen oder bisexuellen Menschen hineinzuversetzen. Ich merke ja selbst, wie schwer ich mich damit tue zu verstehen, was  zum Beispiel Transgeschlechtlichkeit für einen Menschen bedeutet. Es gibt da aber leider Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen, die sich für kompetent halten, weil sie sich nie tief genug mit dem Thema beschäftigt haben, um den Grenzen ihres Wissens und Verstehens zu begegnen.

Und selbst wenn das Wissen da wäre: Es ist viel zu einfach für das Huhn, den Speck auf die Speisekarte zu nehmen. Diese Entscheidung kann und darf nur vom Schwein getroffen werden. Und vor allem muss das Schwein dabei keine Rücksicht auf das Huhn nehmen, nur weil dieses seine Eier beisteuert.

Ich glaube, so manche Diskussion, zu Homosexualität und zu vielen anderen Themen, würde erheblich besser laufen, wenn sich zuerst alle Teilnehmer die Frage stellen, ob sie Schwein oder Huhn sind, ob sie wirklich Betroffene oder nur Beteiligte sind. Es ist ja nicht so, dass die Hühner nichts zu geben hätten, ihre Eier sind ja nicht wertlos. Und genauso kann der Rat der Beteiligten von großem Wert für die Betroffenen sein. Aber wenn die Beteiligten sich des Unterschieds zwischen Huhn und Schwein nicht bewusst sind, wenn sie sich auf die gleiche Ebene mit den Betroffenen oder womöglich sogar über sie stellen wollen, dann wird ihr Rat fast zwangsläufig nutzlos und häufig auch sehr verletzend.

Ich schreibe über andere und meine natürlich auch mich. Natürlich habe ich auch schon das eine oder andere Gespräch ruiniert, weil ich mir meiner Rolle als Huhn nicht bewusst war. Ich möchte besser darin werden zu erkenne, wenn der Andere persönlich betroffen und ich nur beteiligt bin, und mich entsprechend verhalten. Aber ich habe mir auch vorgenommen, mich auch deutlicher zu wehren, wenn ich mich in der Rolle des Schweins wiederfinde und andere über meinen Speck entscheiden wollen. Ich will versuchen, das liebe- und rücksichtsvoll zu tun, aber ich will auch versuchen, klare Grenzen zu setzen, wenn es Anderen als Beteiligten nicht zusteht, über mich als Betroffenen zu urteilen. Ich denke, die Geschichte mit dem Huhn und dem Schwein kann dabei nützlich sein. Vielleicht werde ich sie noch öfter erzählen.

Brot, Steine und Wunder

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Es ist müßig, darüber zu diskutieren, welche Wunder Gott tun kann, und wo eventuell die Grenzen seiner Macht liegen. Schon beim Versuch schlägt die menschliche Logik Purzelbäume und verknotet das Hirn. Gottes Allmacht ist zu groß für den menschlichen Geist.

Es gibt aber Wunder, bei denen weigert sich Gott einfach, sie zu tun, obwohl sie in seiner Macht lägen. So zum Beispiel in der Wüste, wie Matthäus im vierten Kapitel berichtet: Jesus hat Hunger, aber er will keine Steine in Brot verwandeln, wie ihm der Teufel vorschlägt. Dabei ist Hunger durchaus ein legitimer Grund für ein Wunder. Bei zwei Gelegenheiten macht Jesus aus wenig Brot viel Brot, so dass tausende Menschen satt werden.

Es gibt natürlich viele Unterschiede zwischen diesen Ereignissen, aber ein ganz wesentlicher ist der Ausgangsstoff. Seit die Menschheit gelernt hat, Getreide anzubauen, erlebt sie Jahr für Jahr, wie aus wenigen Körnern viele Körner werden, wie aus jedem einzelnen Getreidekorn eine Pflanze wachsen kann, die wiederum viele neue Körner trägt. Das ist das ursprüngliche Wunder der Brotvermehrung, ein Wunder, dessen Zusammenhänge und Wirkmechanismen wir über die Jahrhunderte immer besser verstanden haben und mittlerweile bis ins kleinste Detail erklären können. Es ist einer der vielen, guten und kreativen Gedanken, die Gott in die Welt hinein geschaffen hat.

Was Jesus bei den beiden Speisungswundern tut, entspricht diesem Gedanken Gottes: So wie auf natürlichem Wege aus wenig Korn viel Korn wird und die Menschen sättigt, wird hier auf übernatürlichem Wege aus wenig Brot viel Brot, und die Menschen werden satt. In dieser spezifischen Situation fehlt einfach die Zeit und die Möglichkeit, eben mal schnell Getreide auszusäen, zu ernten, zu mahlen und Brot daraus zu backen. Jesus lässt die natürlichen Vorgänge sozusagen im Kurzschluss ablaufen. Das ist weit jenseits jeder naturwissenschaftlich erklärbaren Möglichkeit, es ist ein echtes Wunder, aber es entspricht immer noch dem Grundgedanken Gottes, wie er sich in der Natur offenbart.

Viele Wunder Jesu entsprechen diesem Schema. In der Natur entsteht durch hoch komplexe, aber natürliche Vorgänge aus Wasser, Kohlendioxid, Sonnenenergie und ein paar anderen Zutaten Wein. Jesus macht auf der Hochzeit zu Kana Wasser zu Wein, ganz ohne diese vielen, langwierigen Zwischenschritte. Und viele der Heilungswunder sind außergewöhnliche Beispiele des Gedanken Gottes, der auf gewöhnliche Weise auch in den Selbstheilungskräften des menschlichen Körpers wirkt.

Steine zu Brot zu machen, ist etwas völlig anderes. Nichts, aber auch gar nichts in der Natur deutet darauf hin, dass diese Umwandlung Teil von Gottes Schöpfungsplan ist. Es gibt bestimmt mehrere Gründe, warum Jesus den Vorschlag des Teufels zurückweist, aber ein wichtiger steht in Johannes 5, 19. Jesus sagt: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht.“ Jesus kennt den Schöpfer. Er kennt die Schöpfungsgedanken. Er war dabei. Er sieht, wie in der Schöpfung aus wenig Nahrung viel Nahrung wird und tut desgleichen. Er sieht, dass in der Schöpfung niemals aus einem toten Stein Nahrung hervorgehen kann, und weigert sich, dies selbst zu tun.

Es gibt ein Wunder, um das praktisch jeder homosexuelle Christ Gott schon gebeten hat. Es gibt ein Gebet, das so gut wie jeder schwule oder lesbische Christ schon gesprochen hat, die meisten von uns sehr intensiv und über lange Zeit hinweg. Es lautet: Gott, mache mich hetero. Es ist ein Gebet, das nicht erhört wird.

Viele Christen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen, halten sich verzweifelt an dieser vermeintlichen Möglichkeit fest, die sie Heilung nennen. Dabei ist längst klar, dass diese Heilungsversuche fast immer nutzlos, gefährlich und nicht selten schädlich sind. Die größte Organisation dieser Bewegung, Exodus International, hat sich bereits vor vier Jahren selbst aufgelöst, viele ihrer früheren, führenden Mitglieder haben sich für das von ihnen verursachte Leid entschuldigt, leben in festen, gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder setzen sich für deren Akzeptanz unter Christen ein.

Aber immer noch beten unzählige Christen verzweifelt um dieses Wunder, dass Gott ihre sexuelle Orientierung, ihre geschlechtliche Identität ändert, damit sie in das heteronormative Schema passen, das ihre Umgebung von ihnen verlangt. Und es ist wahr: Dieses Wunder würde ihre Probleme lösen, würde sie aus Leid und Verzweiflung befreien. Warum erhört dann Gott diese Gebete nicht, warum verweigert er das Wunder? Weil es sich dabei um ein Brot-zu-Steine-Wunder handeln würde.

Die Schöpfung Gottes ist von überbordender Vielfalt. Sie zeigt im Großen und in unzähligen Details, wie der Schöpfer aus wenigen Grundgedanken eine atemberaubende Vielzahl an Varianten und Kombinationen hervorbringt. Dieses Grundkonzept ist ohne jeden Zweifel Teil der guten und kreativen Gedanken, die Gott in seiner Schöpfung verwirklicht hat. Das gilt auch für die sexuelle Identität. Aus den Grundgedanken Mann und Frau setzt Gott in immer neuer Kombination Milliarden von Individuen zusammen, viele davon sehr ähnlich der Standardausstattung, wie sie auch Adam und Eva hatten, manche aber auch deutlich anders, schwul, lesbisch, trans, inter, nicht-binär.

Nach vierzig Tagen in der Wüste muss Jesus nicht nur sehr großen Hunger, sondern auch sehr große Not gelitten haben. Er brauchte wirklich dringend etwas zu essen, viel dringender als die tausende Menschen, die er später durch ein Wunder satt gemacht hat. Trotzdem macht er keine Steine zu Brot. Not, und sei sie noch so groß, ist keine ausreichende Begründung für ein Wunder, das nicht dem Wesen und den Gedanken Gottes entspricht. Wer die Heilung von Homosexualität propagiert, handelt nicht zwangsläufig in böser Absicht. Aber er verspricht Menschen in großer Not ein Wunder, das Gott nicht tun wird, weil es nicht seinen guten Schöpfungsgedanken entspricht. Er spricht letztlich mit der Stimme des Versuchers in der Wüste.

Magengrimmen

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In den letzten eineinhalb Wochen tourte die sogenannte Demo für alle mit einem Bus durch Deutschland, am Freitag wurde als letzter Stopp Berlin angefahren. Die Initiatoren kämpfen mit diesem Bus gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen, gegen trans*-Rechte und gegen vernünftige Schulaufklärung. Queer.de bezeichnet den Bus als Hass-Bus. Ich weiß nicht, ob diese Bezeichnung wirklich zutreffend ist. Ich glaube nicht, dass Hass die wesentliche Motivation der Demo für alle ist, ich kann mir sogar vorstellen, dass sie tatsächlich glauben, aus bester Absicht zu handeln. Aber sie verbreiten eine Botschaft der Ausgrenzung und Herabwürdigung gegen alle, die nicht ihrem heteronormativen Schema entsprechen. Und diese Botschaft wird, wo sie auf fruchtbaren Boden fällt, Hass verstärken und Hass legitimieren.

Zum Glück fällt sie nicht auf sonderlich fruchtbaren Boden. In jeder einzelnen Stadt war die Gruppe der Gegendemonstranten um ein Vielfaches größer als das kleine Häuflein an Mitarbeitern und Interessenten. Was mir persönlich Sorgen macht, ist nicht die Größe dieses fruchtbaren Bodens, sondern dessen Nähe zu mir. Die Demo for alle argumentiert mit angeblich biblischen Wahrheiten und angeblich christlichen Werten, und ich sehe, wie Christen in meinem Umfeld diesen Unsinn glauben, und manchmal leider auch die Lügen und Verleumdungen, die oft damit verbunden sind.

Davon, was das bei mir auslöst, habe ich vor ein paar Wochen schon geschrieben. Seither ist das Thema deutlich näher an mich herangekommen. Eine Hauskreisteilnehmerin hat eine zutiefst homophobe und verleumderische Petition zur Zeichnung empfohlen, die aus demselben Umfeld wie dieser Bus kommt. Und am vergangenen Sonntag wählte der Prediger die Ehe für alle als Beispiel für den allgemeinen Abfall vom Glauben in der Endzeit und als Vorzeichen für den heraufziehenden Antichristen. Ich schrieb Anfang Juli, dass ich Angst hätte vor LGBT-feindlichen Äußerungen im Gottesdienst. Seit letzten Sonntag weiß ich, dass die Angst berechtigt war.

Ich habe mir in diesem Moment ernsthaft überlegt, den Gottesdienst zu verlassen. Ich hab’s nicht getan. Bei der Entscheidung zu bleiben war sicher auch eine gute Portion Feigheit mit im Spiel. Aber entscheidend war der Gedanke, dass ich als geoutetes, schwules Mitglied meiner Gemeinde nicht vor derartigen Botschaften fliehen, mich nicht verstecken muss. Als schwuler Christ darf ich, ja soll ich erhobenen Hauptes dafür stehen, dass Gott mich absichtsvoll so geschaffen hat, und das er mich liebt, wie ich bin, egal wie andere darüber denken. Das Problem ist: Ich stehe diese Haltung nicht auf Dauer durch.

Ich denke, ich habe damit gerechnet, dass derart LGBT-feindliche Positionen in meiner Gemeinde ohne öffentlichen Widerspruch geäußert werden dürfen. Dass es dann tatsächlich so gekommen ist, hat mich trotzdem tief getroffen. Die Angst hat sich verstärkt und mir auf den Magen geschlagen. Aus dem metaphorischen Magengrimmen ist mittlerweile ein tatsächliches, physisches geworden, und ich muss mir allmählich überlegen, ob ich daraus nicht Konsequenzen ziehen muss.

Die übliche Empfehlung in so einer Frage wäre vermutlich, der Gemeinde den Rücken zuzukehren. Ich habe schon oft den Rat gehört, auf Abstand zu denen zu gehen, die einen nicht akzeptieren können, wie man ist, weil es genügend Leute gibt, die damit kein Problem haben. Dummerweise enthält die Gemeinde für mich beides: Ein paar meiner besten Freunde und Unterstützer sind Gemeindemitglieder, und gerade die Zusammenarbeit und das gemeinsame Leben in der Gemeinde mit diesen Menschen bedeutet mir sehr viel.

Wir haben zusammen viel Zeit und Arbeit in unseren Dienst in der Gemeinde gesteckt und gemeinsam etwas aufgebaut, was der Gemeinde gut tut und wichtig für sie ist. Wenn ich nicht mehr in den Gottesdienst gehe, wird dadurch vermutlich ein erheblicher Teil davon zerstört. Aber wenn ich weiter in den Gottesdienst gehe, muss ich auch weiter mit dieser Angst leben und gefährde womöglich dadurch auf Dauer meine Gesundheit.

Ich wünschte, ich könnte das einfach so wegstecken, haters gonna hate, so ist das nun mal. Bis das passiert, muss ich irgendwie mit der Situation umgehen, aber wie ich das tun soll, da bin ich im Moment ziemlich ratlos.

In a Heartbeat

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Ich bin zuweilen etwas langsam. Nicht nur, weil dieser Beitrag erst an einem Montag fertig wird, obwohl ich normalerweise versuche, sonntags zu veröffentlichen. Auch mit dem heutigen Thema springe ich auf einen längst fahrenden Zug auf. Der computeranimierte Kurzfilm In a Heartbeat, um den es heute gehen soll, wurde genau vor zwei Wochen veröffentlicht. Seitdem hat gefühlt schon alle Welt darauf reagiert, und jetzt komme ich auch noch hinterher. Aber für mich ist das nur vier Minuten lange Video zu wichtig geworden, um es zu übergehen.

Es ist eine wunderbare, herzerwärmende kleine Geschichte, noch dazu handwerklich perfekt und sehr liebevoll animiert, aber sie hat auf mich eine sehr starke und sehr schmerzhafte Wirkung. Ich meine natürlich die Stelle, als der Protagonist sein verliebtes Herz zerreißt. Er tut dies aus Angst, ja aus Panik, und weil er in diesem Augenblick keinen anderen Ausweg sieht, aber er tut es dennoch bewusst. Ihm wird nicht das Herz gebrochen, er bricht es selbst, weil die Gefühle, die er für den anderen Jungen hegt, in seiner Weltsicht nicht existieren dürfen. Ein Gefühl, das bestimmt nicht nur schwule und lesbische Menschen kennen, aber das für uns in besonderer Weise nachvollziehbar ist, weil es für die meisten von uns zur persönlichen Geschichte und für viele leider auch zur persönlichen Gegenwart gehört.

Ich habe diesen Blog Herz im Wandschrank genannt, weil der Wandschrank (Closet) im Englischen sprichwörtlich der Ort ist, an dem man seine sexuelle Identität vor anderen versteckt. Im Film kommt kein Schank vor, aber er drückt besser als dieser aus, was dieses Verstecken bedeutet und welche Konsequenzen es für das eigene Herz hat. Und der Film zeigt mir, dass ich diese Konsequenzen in meinem Leben immer noch unterschätzt habe.

Ich spüre das an den Gefühlen, die er bei mir auslöst. Das zerrissene Herz erschüttert mich zutiefst, das Happy End hat auf mich kaum eine emotionale Wirkung, der Film lässt mich mit einem Gefühl des Schmerzes und des Schreckens zurück. Ich blogge jetzt schon eineinhalb Jahre darüber, wie ich mein Herz aus dem Wandschrank befreie, aber irgendwo in meinem Inneren bin ich immer noch der Junge, der einsam und traurig unter dem Baum sitzt mit dem Bruchstück seines Herzens in der Hand, das er selbst zerstört hat.

Seelische Veränderungen dauern lange. Und manchmal sind alles Wissen und Verstehen, alle Entscheidungen und äußeren Umstände nutzlos, um wirklich die Seele zu erreichen. Da braucht es schlicht und einfach Heilung. Und ich bin froh, dass ich einen Gott habe, der Heilung zu seinem Kerngeschäft gemacht hat. Es ist nicht das erste Mal, dass Gott ein Werk der Kunst wie dieses Video benützt, um sich um meine Ängste und Blockaden zu schleichen, um Licht in meine dunklen Ecken zu bringen, um verborgene Gefühle an die Oberfläche zu bringen.

Die Stimme Gottes erreicht uns auf unterschiedlichsten Wegen. Zu mir spricht er gerade durch diesen wunderbaren Kurzfilm. Die Gefühle, die das bei mir auslöst, sind derzeit noch schmerzhaft und bitter. In ein paar Monaten vielleicht werde ich diesen Film anschauen und mich über das Happy End von Herzen freuen können. Dann wird Gott wieder mal eines seiner Heilungswunder an mir vollbracht haben.

Moral und Regenbogen

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Vor einer Woche war ich zum ersten Mal auf einem Christopher Street Day, und zwar ausgerechnet auf dem in Berlin, einem der größten und buntesten der Republik. Überall Regenbogenfahnen, nicht nur bei den Teilnehmern, sondern auch an vielen Gebäuden in der ganzen Stadt.

Als Symbol der LGBTQ-Community ist diese Fahne knapp 40 Jahre alt. Der Künstler Gilbert Baker hat sie 1978 erschaffen, damals mit acht Farben, von denen jede eine symbolische Bedeutung haben sollte. Leider war ausgerechnet die Symbolfarbe für Sexualität (Pink) mit den damaligen Mitteln nicht industriell herstellbar, Türkis wurde aus Symmetriegründen entfernt, so dass die heutige Fahne mit sechs Farben entstand. Es gibt derzeit Bestrebungen, die Farben Schwarz und Braun zu ergänzen, um auf die Gleichstellung von Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe hinzuwirken. Ich glaube aber nicht, dass sich das in Deutschland durchsetzen kann, denn Schwarz ist bei uns vermutlich zu sehr als Trauerfarbe geläufig und Braun, na ja, Braun halt.

Den Regenbogen als Symbol zu verwenden, ist natürlich keine Erfindung von Baker. Er taucht schon sehr früh in der Bibel auf, und zwar in 1. Mose 9 als Symbol des Bundes, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen geschlossen hat. Die folgenden Worte sind zwar aus dem achten Kapitel, gehören aber schon dazu:

Und der Herr sprach bei sich: Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe. So lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Manche Menschen sehen im Christopher Street Day ein Symbol für den Verfall von Sitte und Moral, für das böse Trachten des Menschen, das auch zur Sintflut geführt hat. Es gab Momente am vergangenen Wochenende, da konnte ich das ein wenig nachvollziehen. Man merkt dem CSD wirklich nicht an, dass die Symbolfarbe für Sexualität aus der Regenbogenflagge entfernt wurde, und manches, was ich gesehen habe, ist mit meiner Vorstellung eines christlichen Lebensstils nicht vereinbar. Aber erstens ist der CSD keine christliche Veranstaltung, und zweitens verkennt der Kritiker, dass Gott in der zitierten Bibelstelle ein Pauschalurteil über alle Menschen abgibt: Das Trachten jedes Menschen ist böse, das des freizügigen CSD-Teilnehmers genauso wie das des zugeknöpften Moralisten.

Die Katastrophe der Sintflut hat doch darin ihre Ursache, dass die Menschheit als Hüter von Moral und Ethik gründlich versagt hat. Glücklicherweise besitzt die Schöpfung ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Dynamik, und Gott hat zugesagt, diese zu bewahren. Ernte folgt der Saat, Sommer dem Winter. Die Vorstellung, Gottes Schöpfungsordnung müsse von Menschen bewahrt werden, ist absurd, die Schöpfung hat ihre eigene Ordnung gut im Griff. „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“, schreibt Paulus gleich zwei mal im 1. Korintherbrief. Die Moral menschlichen Handelns erweist sich in ihren Wirkungen: Gutes bring Gutes hervor, Schlechtes erzeugt Schlechtes. Die Schöpfung ist da unerbittlich, sie gehorcht immer ihrer innewohnenden Ordnung und teilt jeder Ursache ihre Wirkung zu, und dass das so bleibt, das hat Gott versprochen.

Diese Ordnung, diese schöpfungsgemäße Moral muss immer neu entdeckt werden, denn sie wird immer neu von den Menschen verdorben, und zwar seit je her. Jede Zeit, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Fehler. Wer Moral und Ethik nur in der Weisheit der Vorfahren sucht, ist auch dazu verdammt, ihre Fehler zu wiederholen.

Die dunklen, grauen Wolken der Sintflut sind das Ergebnis dieser aufgestauten Fehler. Gott setzt dem doch nicht ohne Grund das bunteste aller Naturphänomene entgegen. Es ist nicht das blendend weiße Licht göttlicher Reinheit, dass die moralische Dunkelheit erhellt. Gott fächert es auf in die bunte, grenzenlose Vielfalt seiner Schöpfung. Diese Vielfalt selbst ist natürlich noch keine christliche Ethik, aber nur in dieser Vielfalt kann sie gedeihen, nur in dieser Vielfalt kann sie erkannt werden.

Wir hatten im vergangenen Jahrhundert in Deutschland zwei Staatsformen, die das öffentliche Leben auf eine Farbe reduzieren wollten. Beide waren Brutstätten von Gewalt und Unrecht. Ich möchte keinesfalls die braunen Gräuel und die roten Untaten gegeneinander aufrechnen, aber sie müssen uns beide eine Warnung sein, wohin Einfarbigkeit eine Gesellschaft führt. Das Bekenntnis zur bunten Schöpfungsvielfalt ist das rechte Mittel dagegen. Dabei spielt es gar keine so große Rolle mehr, ob wir uns unter der Regenbogenflagge von 1978 oder dem viel älteren Symbol des Alten Testamentes versammeln.

Man darf Vielfalt nicht mit Beliebigkeit verwechseln, weder als Wunschbild noch als Bedrohung. Der Disput um moralisch und ethisch richtiges Verhalten darf und muss weitergehen. Nicht alles ist automatisch richtig, nur weil es bunt ist. Aber das Bekenntnis zu schöpfungsgemäßer Vielfalt lässt uns diesen Disput mit gegenseitigem Respekt, Lernbereitschaft und Mut zur persönlichen Veränderung führen. Es erhebt uns über uns selbst und öffnet den Blick zum Anderen.

Nicht alles, was ich auf dem Christopher Street Day gesehen habe, fand ich gut und richtig. Aber seit 1970 habe unzählige CSDs und Pride Parades dazu beigetragen, diese Welt zu einem bunteren, einem lebenswerteren, einem besseren Ort zu machen. Ich kann nichts Schlechtes daran finden, Teil dieser Bewegung zu sein. Nächstes Wochenende bin ich in Nürnberg dabei. Ich freue mich darauf.